Seit ältester Zeit blicken die Menschen zum Himmel empor, fasziniert vom Lauf der Gestirne und vom Sternenlicht in der Nacht. Sie beobachteten im ersten Tageslicht die aufgehende Sonne und dann ihren Lauf am Himmel. Bis sie im Westen in einem geheimnissvollen, rot leuchtenden Lichtzauber wieder unterging. Und natürlich begannen die Menschen, irgendwann vor vielleicht 5000 Jahren, die Zeit einzuteilen, in der die Sonne zu sehen war. In der Antike wurde die Zeit von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang in zwölf Stunden eingeteilt. Das hatte zur Folge, dass im Winter die Stunden kürzer waren als im Sommer. Ein schönes Beispiel, wie die Zeit angegeben wurde, finden wir in der Apostelgeschichte: Als Petrus vorgeworfen wurde, er sei betrunken, antwortete er, schlagfertig wie er nun mal war: «Ich bin nicht betrunken, es ist ja erst die dritte Stunde!» Also neun Uhr Morgens (Apg 2,15)!
Wie aber wurde die Zeit gemessen? Natürlich mit Sonnenuhren, die es schon um 1300 vor Christus nachweislich in Ägypten gegeben hat! Ja, die Zeit wurde auch mit Wasseruhren oder brennenden Kerzen ermittelt. Ihnen gegenüber hatte die Sonnenuhr aber einige Vorteile, allen vor an die einfache Bauart! In der Pfadi haben wir gelernt, dass es genügt, einen Gnomon, also einen geraden Stock senkrecht in den Boden zu stecken. Der Schatten, den der Stock auf den Boden wirft, kann zum Bestimmen der Tageszeit verwendet werden. Nun wird jede Stunde die Stelle des Schattens markiert, so dass am nächsten Tag die Tageszeit recht genau bestimmt werden kann. Natürlich muss die Uhr nach ca. 10 Tagen nachjustiert werden! Diese simple Sonnenuhr gibt zudem auch einen Hinweis auf die Jahreszeit: Im Hochsommer ist der Schatten um die Mittagszeit nur wenige Zentimeter lang, gegen Herbst zu wird er immer länger.

Eine praktische Sonnenuhr ist ist seit Jahrhunderten der schlichte Bauernring; die erste von zwei Taschensonnenuhren, die hier vorgestellt werden sollen. Der Sonnenring, wie er auch genannt wird, dürfte schon im Spätmittelalter verbreitet gewesen sein. Der Messingring hat einen Durchmesser von nur etwa zwei Zentimetern, so dass er bequem als Anhänger getragen werden kann. Einstellung kennt der Bauernring nur eine einzige: Das Loch, das das Sonnenlicht einfängt, muss mit einem kleinen Griff auf den aktuellen Monat justiert werden. Nun läst man den Ring an der Schnur baumeln und richtet das Loch gegen die Sonne aus. Und schon zeigt ein deutlich erkennbarer Lichtpunkt auf der Inennseite des Rings die Zeit an. Hier auf dem Bild ist es gerade acht Uhr, der Lichtpunkt ist auf der Skale unten links gut zu erkennen.
Hat die einfache Bedienung auch einen Preis? Ja, den hat sie! Der Bauernring zählt sicherlich nicht zu den präzisesten Sonnenuhren, denn der Breitengrad, also der Ort, an dem gemessen wird, kann nicht eingestellt werden. Er ist auf einen gegebenen Punkt geeicht! Aber: Mit etwas Übung und Gefühl für die Zeitskala ist es durchaus möglich, die Zeit auf 10-15 Minuten genau zu messen. Und das reicht in den meisten Fällen. Auch heute noch, in einer immer schneller getakteten Gesellschaft, wo die Zeit meist auf dem Smartphone abgelesen wird.
Genau hier liegt der Reiz dieser kleinen und praktischen Sonnenuhr: Sie führt weg von unserer Zeit, zurück, irgendwo in das 15. Jahrhundert. An Rathäusern und Kirchen waren bereits mechanische Uhren zu sehen und die Zeit wurde nun in 24 gleich langen Stunden gemessen. Dennoch hatten die Menschen ein anderes Zeitgefühl als wir, der harmonische Gang der Natur prägte die Menschen des Mittelalters; ihr Tagesablauf war weniger durchgetaktet als unserer. So vermittelt der Bauernring auch ein kleines Stück Lebensgefühl des Mittelalters – und weckt das Interesse auf den Gang der Gestirne.

Präziser, aber komplizierter: Die Kala Taschensonnenuhr
Die Kala Taschensonnenuhr ist ein kleines Schmuckstück! Mit den zwei zur Armillarsphäre angeordneten Ringen wirkt sie äusserst dekorativ! Sie hat einen äusseren Durchmesser von sechs Zentimetern und kann sehr einfach ein- und ausgeklappt werden. So kann sie wie der Bauernring problemlos überall hin mitgenommen werden, als Anhänger oder einfach in der Hostentasche. Im Gegensatz zum Bauernring liefert sie die Zeit deutlich präziser, mit etwas Übung lässt sich die Tageszeit auf wenige Minuten genau bestimmen. Und Übung ist jetzt genau das Stichwort! Zu Beginn muss am äusseren Ring der Breitengrad der aktuellen Region eingestellt werden, für Bern wäre dies 46.5 Grad. Anschliessend will die Sonnenuhr auf der Brücke den aktuellen Montag wissen. Und zwar möglichst genau: Beginn, Mitte oder Ende! Und nun kann es losgehen, der innere Ring wird um 90 Grad ausgeklappt und die Uhr gegen die Sinne gehalten. Und nun sieht man…
…nichts! Ganz so einfach geht es leider nicht, die höhere Präzision der Kala Taschensonnenuhr muss mit etwas mehr Komplexität bei der Bedienung erkauft werden. Je nach Tageszeit muss die Brücke mehr oder weniger gekippt werden. Und am Nachmittag muss das Sonnenlicht auf die gegenüber liegende Seite des Innenrings gerichtet werden. Das alles braucht Übung und eine Portion Feingefühl. Zum Glück gibt es ein sehr gut gemachtes Video von David Rogol. Er zeigt genau und verständlich, wie die Uhr eingestellt und ausgerichtet werden muss.
Die Kala Taschensonnenuhr ist ein faszinierendes Messgerät, keine Frage! Aber einfach mal kurz die Zeit bestimmen geht nur mit viel Übung. Deshalb bleibt mein Favorit der bescheidene Bauernring. Dass er weniger präzise ist, klingt nur im ersten Moment nach einem Makel. Im englischen wird der Bauernring auch Shepherds ring genannt, ein weiterer Beleg für die bäuerliche Herkunft dieses kleinen Zeitmessers. Was spielt es da für eine Rolle, ob man 15 Minuten früher oder später ankommt? Man hat Zeit und nimmt sich Zeit.