Als ich in der vergangenen Woche beruflich in Bern zu tun hatte, nutzte ich die Gelegenheit und flanierte eine knappe Stunde zwischen den Lauben, vom Bahnhof hinab zum Marktplatz. Ich liess das geschäftige Treiben der Stadt auf mich wirken und genoss den milden, sonnigen Herbsttag. Beim Markt angekommen überquerte ich die Strasse und gelangte zum Bundeshausplatz, auf dem sich auch der Sitz der Nationalbank befindet. Reichtum, Geld und Gold, Kapital und Macht durch grosse finanzielle Mittel, das waren die Gedanken, die mir als erstes durch den Kopf gingen, als ich des alten Gebäudes ansichtig wurde, gebaut mit dem für Bern typischen, grünlichen Sandstein.
Reichtum, das heisst doch nichts anderes als von einem bestimmten Gute viel zu besitzen. Oder auch von verschiedenen, miteinander in Verbindung stehenden Gütern viel zu besitzen. Und dieses müssen nicht unbedingt materielle Güter sein. Wer viel Geld hat ist reich. Aber wer über ein grosses Wissen verfügt, ist auch reich, reich an einem Gute, das nicht materiell ist. Welche Reichtümer gibt es in unserer Welt? Sind etwa ein grosses Vertrauen oder ein genügsames Leben auch Reichtum. Epikur, der griechische Philosoph aus Samos soll ja gesagt haben, dass ein Mensch, der frei von Schmerzen ist und weder an Durst noch an Hunger leidet, reich ist, ja sich an Glückseligkeit mit den Göttern messen könne. Und dann gibt es ein Gut, das allen Menschen gegeben ist und das kostbar ist, weil wir nur über ein begrenztes Mass davon verfügen: Die Zeit. Zeit ist kostbarer als eine grosse Menge Gold oder das Aktienpaket einer erfolgreichen Firma. Güter aller Art können wir während unsers Lebens immer wieder neu erwerben. Von unserer Lebenszeit lässt sich dies nicht sagen. Wir wissen nicht einmal, wie viel Zeit uns gegeben ist.
Wieder sehe ich die Nationalbank vor mir. Gewiss gibt es in dem Gebäude einen Keller mit Tresoren, massiven Geldschränken, in denen ein Teil des Bankenkapitals sicher aufgehoben ist. Wer Geld hat, gibt darauf acht, dass es ihm nicht gestohlen wird, nicht auf anderen Wegen abhanden kommt. Um ein Vermögen sicher zu verwahren, scheuen wir Menschen keinen Aufwand. Diebe werden nicht nur durch dicke Mauern und Stahl, sondern auch durch bewaffnetes Wachtpersonal und raffinierte Überwachungssysteme auf Distanz gehalten. Die Botschaft ist unmissverständlich. Hier kommst du nicht rein!
Wie ganz anders gehen wir da mit der Zeit um. Wir nutzen sie oft so, als stünde sie uns unbegrenzt zur Verfügung. Bereits Seneca, der römische Philosoph, beklagte sich über dieses Phänomen: Wir haben nicht zu wenig Zeit, wir vergeuden zuviel, soll er einmal gesagt haben. Carpe diem, nutze den Tag. In dieser einfachen Regel liegt gemäss Aristoteles auch der Schlüssel zu einem glücklichen Leben verborgen: Das Ziel des Menschen besteht darin, sich in all seinen Fähigkeiten und Talenten entfalten zu können.
Da ich gerne und oft in der Bibel lese, suchte ich auch dort nach Stellen, welche die Zeit zum Thema haben. Jesus sagt uns deutlich, wie wir unsere Zeit nutzen sollen: Dadurch, dass wir unser Leben auf Erden als Vorbereitung für die Ewigkeit nutzen sollen. Und wie tun wir das? Auch hier ist die Botschaft von Jesus unmissverständlich. Ja er beendete seine Reden oft mit dem fast wie eine Warnung klingenden Ausspruch: «Wer Ohren hat soll gut zuhören». «Nutzt Eure Zeit, damit ihr nicht verloren geht». Wie oft geraten wir in Versuchung, wichtige Dinge hinauszuschieben, gerade für Angelegenheiten von geringer Bedeutung. Aber was kann denn wichtiger sein als unser Seelenheil?
Jesus warnt uns vor dieser Haltung mit dem Gleichnis von den Brautjungfern, Matthäus 25. In diesem Gleichnis geht es um die Vollendung der neuen Welt Gottes, die geschieht, wenn Jesus am Ende der Zeit wiederkommen wird. Es gilt, für dieses Ereignis bereit zu sein, gerade auch deshalb, weil niemand den genauen Zeitpunkt wissen oder berechnen kann.