Bibel in gerechter Sprache

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Bibel in gerechter Sprache

Im vergangenen Mai wurde nach fünfjähriger Übersetzungsarbeit die erste Auflage der Bibel in gerechter Sprache (BigS) veröffentlicht. In den folgenden Tagen und Wochen war das Interesse der Medien gross und der Text dieser neuen Bibel wurde kontrovers diskutiert. Während die einen von der BigS begeistert sind und sie als eine moderne und frische Übersetzung feiern, ist die Ablehnung auf der anderen Seite massiv und entschlossen. Kritiker werfen der BigS vor, ungenau und für den kirchlichen Gebrauch nicht brauchbar zu sein. Das Werk habe in dieser Form keine Zukunft, ja sogar von Häresie ist die Rede.

In den Medien ist der Tenor mehrheitlich negativ. Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung erschien schon im vergangenen Dezember ein Artikel, der an der BigS kein gutes Haar lässt und zum Schluss kommt, es sei allen zu gönnen, von dieser Übersetzung verschont zu bleiben! Die NZZ veröffentlichte im Kulturteil einen ausführlichen Kommentar von Prof. Dr. Ingolf U. Dalferth. Dieser spricht der BigS den Anspruch, textgerecht zu sein ab und bezeichnet die Übersetzung als schlecht, falsch und nichtig.

In der Zwischenzeit hat sich der Sturm etwas gelegt. Das ist ein günstiger Zeitpunkt, sich ein Exemplar dieses Buches zu beschaffen und genauer zu betrachten. Ich hatte die Gelegenheit, während einiger Wochen Teile der BigS zu lesen und mit anderen Übersetzungen zu vergleichen. Das Mass aller Dinge bei deutschen Bibelübersetzungen ist für mich die Lutherbibel. Luthers Sprache ist mächtig, bildhaft und klangvoll. Dem Reformator gelang das Kunststück, einen deutschen Text zu schaffen, der für jedermann verständlich ist, zugleich aber eine präzise Übersetzung bietet und stets nahe beim Urtext bleibt.

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Layout und Format begünstigen das Lesen

In bezug auf die Gestaltung und das Format vermag die BigS zu gefallen. Eingebunden in einem schlichten, aber gefällig gestalteten Einband befinden sich mehr als 2300 (!) einspaltig bedruckte Seiten auf beigem Papier. Dank des grosszügigen Formates (21,8 x 16,2cm) wurde es möglich, eine grosse Schrift zu verwenden, die das Lesen erleichtert. Der Entscheid zugunsten eines einspaltigen Druckes ist richtig, mit durchschnittlich 12 Wörtern pro Zeile bietet die BigS einen ermüdungsarmen Lesefluss. Wegen des grosszügigen Formates und der Seitenzahl ist diese Bibel jedoch kein leichtes Buch; um sie lesen zu können, muss sie auf den Tisch gelegt werden.
Schade ist, dass auf Überschriften verzichtet wurde, mit dem Ergebnis, dass viele Seiten sich dem Leser als Bleiwüste präsentieren. Überschriften bieten eine zusätzliche Erleichterung beim Lesen und helfen beim Auffinden bestimmter Passagen. Die Begründung der BigS-Übersetzerinnen, dass der Leser diese Überschriften als Teil des Textes halten könnte, ist nicht nachvollziehbar, denn auch die BigS ist ja nicht frei von solchen Eingriffen in den Text.

Im Gegensatz zu den bisherigen Bibelübersetzungen verfolgt die BigS ein ideologisches Ziel, sie legt das Schwergewicht bei der Übersetzung auf eine «gerechte Sprache», die drei Themenkreise umspannt. Frauen sollen überall dort, wo sozialgeschichtliche Forschungsergebnisse nahelegen, dass sie mitgemeint sind, ausdrücklich benannt werden. Ferner soll festgehalten werden, dass Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger Juden waren und sich als Teil dieser Gemeinschaft verstanden. Endlich soll auf die soziale Realität der damaligen Zeit aufmerksam gemacht werden, «Mägde» und «Knechte» werden wieder zu dem, was sie in Wirklichkeit waren: Sklaven.
Der Werbetext zur BigS liest sich so:

«(….) Stellen Sie sich vor: Sie schlagen Ihre Bibel auf und können im Wortlaut entdecken, es gab sie, die Jüngerin, die Apostelin, die Diakonin… Sie lesen in Ihrer Bibel und können sicher sein, hier wird ernst genommen, dass Jesus Jude war.Die Bibel in gerechter Sprache will den biblischen Alltag und damit auch die mitgemeinten Frauen sichtbar machen. Sie will diskriminierende Formulierungen überwinden, antijüdische und gewaltverherrlichende Begriffe vermeiden und die Vielfalt der biblischen Gottesbilder aufdecken. Die Übersetzungen in der Bibel in gerechter Sprache sind verständlich, klar und poetisch und haben eine größtmögliche Nähe zu den Ursprungstexten (…)»

Ich werde im folgenden nur auf den wichtigsten dieser drei Themenkreise eingehen, auf die Gerechtigkeit der Sprache gegenüber Frauen und Männern. Es is richtig, dass in dieser Bibel Frauen explizit genannt werden, wo sie im Text mitgemeint sind. Viel zu lange sind Frauen benachteiligt und ausgeklammert worden, nicht nur in der Bibel! So ist es sehr erfreulich, dass es endlich Jüngerinnen, Diakoninnen, Apostelinnen und Jüdinnen gibt. Es ist eine historische Tatsache, dass Frauen im Jüngerkreis eine bedeutende Rolle gespielt haben. Frauen waren es, die Jesus bis ans Kreuz die Treue hielten. Und Frauen waren es, denen Jesus nach seiner Auferstehung als erstes erschien.
Schön und richtig ist auch die Feststellung, dass Gott weder Mann noch Frau ist, es wirkt in der Tat befreiend und bereichernd, wenn auch die weibliche Seite Gottes betont wird und endlich den ihr zustehenden Platz erhält, der ihr so viele Jahre verwehrt worden ist. So könnte die BigS zu einer echten Bereicherung neben den anderen Übersetzungen werden.

Das Problem: Die BigS lässt es nicht bei diesem Anliegen bewenden. Vielmehr wurden viele Stellen des Bibeltextes der feministischen Sprachideologie angepasst, was oft nicht möglich war, ohne dem Urtext Gewalt anzutun. Ich werde im folgenden zwei dieser Eingriffe erläutern, wer einen detaillierten Überblick der Kritik erhalten will, sei auf das ausführliche Gutachten «Den biblischen Text übersetzen heißt: ihm dienen» von Hermann Barth verwiesen.

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Ausschnitt aus dem Evangelium nach Lukas

I. Sicher gut gemeint, aber ein erster zentraler Punkt der Kritik ist ein regelrechtes Würfelspiel mit den Eigennamen Gottes und dem griechischen Kyrios (Herr) im neuen Testament. Alle diese Stellen wurden grau hinterlegt und mit zwei Buchstaben markiert, die auf den verwendeten Begriff im Urtext hinweisen: «„» für JHWH und «κς» für Kyrios im neuen Testamant. Zwischen diese Buchstaben wird je ein Vorschlag gesetzt, der in einigen Büchern des A.T. ständig oder nach jeder Doppelseite wechselt, in allen andern Büchern jeweils konstant bleibt. Mein Beispiel zeigt eine Seite aus dem Lukas-Evangelium, in dem durchgehend Kyrios mit κEwigeς wiedergegeben wird. Die aufmerksame Leserin soll sich nun jedesmal aus einer Liste am linken oberen Seitenrand einen Ersatzbegriff aussuchen, dort stehen auf der erwähnten Seite die folgenden Vorschläge: der Ewige, die Heilige, die Ewige, der Eine, Er Sie, Schechina, Gott. Kritiker wenden ein, dass gerade damit der Gottesname sexualisiert, also gerade das Gegenteil von dem erreicht wird, was die BigS anstrebt. Ferner wird bestritten, dass der Gottesname auf diese Weise beliebig ausgetauscht werden kann.
Hier treten die feministischen Anliegen der Übersetzerinnen und Übersetzer offen zutage. Im Glossar auf Seite 2358 kann nachgelesen werden, worum es geht: Durch das stetige Einüben dieser abwechselnden, sowohl weiblichen als auch männlichen Gottesbezeichnungen sollen die Lesenden umlernen. Es ist jeder Ideologie eigen, dass sie den Menschen verändern will.

II. Im neuen Testament wird das Begriffspaar Vater/Sohn abgesehen von wenigen Ausnahmen gemieden und durch «Mutter und Vater» oder «Eltern», resp. durch «Kind» ersetzt. Die Übersetzenden begründen dies damit, dass sie der männlich geprägten Sprache entgegentreten wollen. Die Folge davon ist, dass Jesus nicht mehr Sohn Gottes sein darf, er wird in der BigS zum «Kind seiner Mutter und seines Vaters». Durch die Sprachregelung der BigS wird Jesus Christus zu einem Religionslehrer, der erwählt ist, eine spezielle Beziehung zu Gott hat. Als solcher begegnet er uns nicht mehr als Bevollmächtigter Gottes («Ich aber sage euch»), sondern als unorthodoxder Rabbiner, der seinen Schülern die Tora erklärt. Mt. 5,22: «Ich lege euch das heute so aus: (…)».
Auch der Titel «Menschensohn», den Jesus am häufigsten gebraucht, wenn er von sich selbst spricht (allein 14-mal im Markus-Evangelium), ist von den Übersetzerinnen durch «die Menschen» ersetzt oder ganz weggelassen worden. Auch in Mt. 12, wo Jesus mit den Pharisäern einen Disput darüber führt, was am Sabbat erlaubt ist, verwendet Jesus diesen Titel und offenbart sich als Herr über den Sabbat: Mt. 12,8: Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat. In der BigS verkommt diese Ankündigung zu: Die Menschen sind wichtiger als der Sabbat.
Spätestens hier wird es verständlich, dass alle grossen Kirchenverbände gegenüber der BigS eine ablehnende Haltung einnehmen: Wenn Jesus nicht mehr Mensch gewordener Sohn Gottes ist, der in die Welt gekommen ist um durch seinen Tod am Kreuz die Menschheit zu erlösen; wenn Jesus nur noch ein origineller Morallehrer ist, dann ist damit die zentrale Botschaft des Evangeliums ausser Kraft gesetzt.

BigS und Lutherbibel

Dass die Qualität der sprachregulierten Bibel vor allem im Vergleich mit der Lutherbibel gemessen wird, zeichnete sich schon vor dem Erscheinen der BigS ab und war auch zu erwarten. Denn die Lutherbibel ist eine der ältesten deutschen Bibelübersetzungen, sie ist die am häufigsten verwendete deutsche Bibel und ist kulturhistorisch von eminenter Bedeutung. Die Sprache der Lutherbibel ist bildhaft und kraftvoll. Und obwohl die Übersetzung nahe am Urtext bleibt und diesem so genau wie möglich folgt, ist sie doch veständlich und der heutigen Sprache nicht fremd.
Wie ganz anders präsentiert sich die BigS. Den Selbstanspruch, verständlich und klar zu sein, versucht sie dadurch zu erfüllen, dass sie sich eines faden und dürren Beamtendeutsch bedient. Keine Spur von der angekündigten Poesie. Keinesfalls erfüllen kann die BigS den Anspruch der «grösstmöglichen Nähe zu den Ursprungstexten». Um der zugrundeliegenden Ideologie zu genügen, wurden ganze Passagen nicht übersetzt, sondern interpretiert und auf dem Altar der politischen Korrektheit und des feministischen Diktates geopfert.
Kritiker fällten deshalb über die BigS ein hartes Urteil: Sie bleibe Lichtjahre hinter den etablierten Übersetzungen zurück. Die Manipulationen seien zu offensichtlich. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Autorenschaft der BigS selbst zur Kritik griff, um wenigstens Teile ihres von der Presse und den Kirchenverbänden durchgeschüttelten Werkes zu retten. Eines der Ziele dieser Kritik ist – die Lutherbibel. Mitherausgeber Martin Leutzsch behauptet in einem Artikel, dass «Die heutige Lutherbibel nicht die Bibel Martin Luthers ist». Was heute als Lutherbibel erhältlich und in Gebrauch sei, habe mit der Originalfassung des Reformators im Ganzen wenig gemeinsam. Leutzschens Thesen beziehen sich aber nicht auf den Bibeltext, sondern vielmehr auf Kommentare und auf Illustrationen im Original, sowie auf den Wegfall der Apokryphen. Was aber ist mit den Textrevisionen, die von Leutsch angeführt werden? Um sich ein Bild der Redaktion machen zu können, können die Texte der aktuellen Revision und der Fassung aus dem Jahre 1545 problemlos miteinander verglichen werden. Hier zum Beispiel der Beginn von Apg 3:

1545:
1 Petrus aber vnd Johannes giengen mit einander hin auff in den Tempel vmb die neunde stunde / da man pflegt zu beten. 2 Vnd es war ein Man / Lam von Mutterleibe / der lies sich tragen / Vnd sie satzten jn teglich fur des Tempels thür / die da heisset die Schöne / das er bettelte das Almosen von denen / die in den Tempel giengen. 3 Da er nu sahe Petrum vnd Johannem / das sie wolten zum Tempel hin ein gehen / bat er vmb ein Almosen.
4 Petrus aber sahe jn an mit Johanne / vnd sprach / Sihe vns an. 5 Vnd er sahe sie an / wartet / das er etwas von jnen empfienge. 6 Petrus aber sprach / Silber vnd gold habe ich nicht / was ich aber habe / das gebe ich dir. Jm namen Jhesu Christi von Nazareth / stehe auff / vnd wandele
1984:
1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. 2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. 3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen.
4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!

Ein eingehender Vergleich zeigt, dass die Lutherbibel in all den Jahren sehr sorgfältig und gewissenhaft revidiert worden ist. Was wir heute lesen, ist noch immer die Sprache Luthers in ihrer urtümlichen Schönheit und Brillanz. Was wir in der BigS lesen, hat von all diesen Qualitäten nur wenig zu bieten. Als Gegenwert für die Qualität der Lutherbibel erhält der Leser einen ideologisch verbrämten Text. Und das ist ein schlechter Tausch.

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