Während unseren Ferien besuchten wir auch das prähistorische Museum in Carnac. Dieses gönnte sich mit einem Plakat direkt vor dem Eingang einen kleinen Spass: zu sehen sind auf leuchtend gelbem Grund drei Vertreter, die dem modernen Menschen in seiner Entwicklung vorangingen. Der erste Urahn, den das Bild zeigt, ist ein Homo Habilis. Das dicht behaarte und leicht gebeugt voranschreitende Urwesen lebte in Afrika und wurde rund 140cm gross. Der Homo Habilis verstand sich bereits auf das einfache Zuspitzen von Steinen, die er dann als Werkzeuge, eventuell auch als Jagdwaffe benutzte. Etwas grösser und mit aufrechter Haltung steht rechts daneben ein Homo Erectus. Er kann schon deutlich mehr Parallelen zu unseren Zeitgenossen vorweisen als sein behaarter Ahne. Wie es der Name andeutet, ging der Homo Erectus wie wir stets aufrecht. Er stellte verschiedene Werkzeuge aus Stein, Holz und Knochen her, darunter auch spitze Speere. Er ernährte sich von der Jagd und konnte mit Feuer umgehen. Irgendwann erfand er auch das Wandern und verliess Afrika in Richtung Asien.
Wer kommt nach dem Homo Erectus? Es ist der uns wohlbekannte Homo Sapiens, also unser direkte Ahne. Mit schön gestreckter Haltung steht er da und blickt neugierig in die Welt. Und bestimmt auch auf all die technischen und kulturellen Leistungen, die er in den kommenden Jahrtausenden zu vollbringen sich ansetzte. Gewiss hat sich der Schöpfer des Plakates an dieser Stelle gefragt, wo denn alle diese Errungenschaften unseren Homo Sapiens em Ende hinbringen werden? Das letzte Bild auf dem Plakat gibt die Antwort: direkt in das moderne Geschäftsleben, das ganz andere Gefahren birgt, als wilde Tiere, Hunger und kalte Winter. Zu sehen ist im nächsten Bild ein moderner Menschen, wie er mit dem ringt, was er selbst erschaffen hat: Computer, Lärm, Handys und jede Menge Stress! Verglichen mit ihm wirkt sein Urahne ganz links auf dem Bild plötzlich ruhig und gelassen. Ob er wohl tauschen würde?
Nein, dies soll keine Empfehlung an den Ruf Rousseaus sein: «Zurück zur Natur!» Denn es hängt ja auch davon ab, was wir mit dem Erreichten machen. Und auf der anderen Seite können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass die steinzeitlichen Humanoiden viele unserer Annehmlichkeiten gerne angenommen hätten. Gegen einen gedeckten Tisch in einem geheizten Haus in einer sicheren Umgebung gibt es nichts einzuwenden. Aber: wenn sie gesehen hätten, wir wir uns für diesen Fortschritt unter Stress und Dauerbelastung setzen, dann hätten sie wohl gezögert… Denn an einem warmen und sonnigen Tag unter einem schattigen Baum liegen und ohne Verpflichtungen die Ruhe und Beschaulichkeit des Tages geniessen, hat auch seinen Wert! Unsere bärtigen Vorfahren mit den grossen Augenwülsten können uns dabei zum Nachdenken anregen über die richtige Mitte zwischen den Extremen. Über die Mitte, bei der etwas von beiden Lebenswelten Platz hat. Das soll auch die Moral dieser kurzen Betrachtung sein: wenn ganz plötzlich, mitten in der Geschäftigkeit des Tages plötzlich ein Homo Habilis hinter uns tritt und seine Hand auf unsere Schulter legt, dann sollten wir ihn nicht gleich abweisen. Die Gelegenheit lädt dazu ein, ein Wesen aus einer dunklen Vergangenheit kennenzulernen, das mit der Zeit anders umging als wir. Wir können von ihm lernen.