Ueber dem Emmentaler Dorf erwacht ein frischer und klarer Frühherbstmorgen und wo es vor einer Stunde noch ganz still war, herscht plötzlich emsige Betriebsamkeit. Ein neuer Tag hat begonnen. Auf der Durchfahrtsstrasse in Richtung Burgdorf herrscht schon reger Verkehr und am Bahnhof warten die Menschen auf ihren Zug, der sie nach Sumiswald, Thun oder in das nahe gelegene Burgdorf bringt. Menschen mit den verschiedensten Interessen und Plänen stehen am Bahnsteig, unterhalten sich angeregt, lesen eine Zeitung, hören mit ihrem Mp3 Player Musik oder sind in Gedanken versunken. Was hält dieser Tag wohl für uns bereit? Im Zug kann es an manchen Tagen unter der Woche etwas eng werden. Die Reisenden im Zug haben die unterschiedlichsten Interessen, doch letztendlich verfolgen sie doch alle dasselbe Ziel: sie streben nach Glück und Anerkennung. Sie wünschen sich Geborgenheit, Sicherheit und ein erfülltes Leben. Manche in einer Beziehung zu einem lieben Du. Andere allein, damit sie sich ganz ihrer Aufgabe widmen können.
Alle diese Wünsche führen diese Mensche mit sich, wenn sie im Zug unterwegs sind. Wie eine Reisetasche, die sie jeden Morgen umhängen, wenn sie sich auf den Weg machen, um ihr Tageswerk zu beginnen. Gerade dieser Gedanke ist es, der die Menschen näher und freundlicher erscheinen lässt. Im Trubel, im raschen Takt des morgendlichen Werkverkehrs ist dieses Streben zu erkennen. Menschen suchen das Glück, so wie eine Pflanze dem Licht der Sonne zu strebt. Und während die einen erfolgreich sind und auf der Sonnenseite des Lebens stehen, müssen andere lange warten, bis auch ihr Glücksstern aufsteigt. Mache warten vergebens. Freud und Leid sind auch im Zuge nahe beieinander, so wie die Menschen auf den Sitzen in einem vollen Zug.
Die Berner Zeitung hat vor einiger Zeit einen Artikel über die menschlichen Untugenden verfasst, über die sich die Passagiere im Zug aufregen. Dies ist eine kurze Replik auf diesen Artikel, die dazu einlädt, die Aufmerksamkeit auf einen anderen wichtigen Aspekt zu richten: auf das Wesen der Menschlichkeit, dem wir auch im Zug auf Schritt und Tritt begegnen können. Was ist Menschlichkeit in dieser Situation? Es ist im morgendlichen Zugverkehr eine einfache, schlichte Geste, die den anderen dennoch freut. Wie etwa die Einladung, «hier ist noch Platz frei.». Oder ein freundliches «Ja, bitte!» wenn nach einem Platz gefragt wird. Nicht einfach griesgrämig wegsehen oder hinter der Zeitung verstecken, wenn jemand ein paar Worte wechseln möchte. Oder auch nur ein Lächeln im Gesicht. Wer mit diesem Vorsatz in den Zug steigt, wird das «sich auf die Nerven gehen» bald weit hinter sich lassen, so wie der Zug das Depot, das er am frühen Morgen verlassen hat. Doch während der Zug am Abend in sei Depot zurück kehrt, müssen wir dies nicht unbedingt tun…