Ein kalter Wintertag neigte sich seinem Ende entgegen und über dem Wald fand die blassgoldene Dezembersonne das Ziel ihrer Himmelsbahn; sie verschwand zwischen den Wipfeln der Fichten und kurz darauf reichte das Licht des kurzen Tages der heraufziehenden Winternacht die Hand. Bald waren vom Waldrand nur noch die dunklen Umreisse der Bäume unter der tiefblauen Nacht zu sehen. Und über ihnen leuchtete ein klarer Sternenhimmel. Es wurde ganz still, vom Dorf her war kein Ton mehr zu hören, nur vereinzelte Lichter zeugten davon, dass sich die Menschen in ihre warmen Stuben zurückgezogen haben.
Doch dann begann ganz plötzlich zwischen den Zweigen der Tannen ein Licht zu leuchten, ganz unscheinbar nur, aber doch vom Dorf aus zu erkennen. Es leuchtete, still und schwach, aber doch mit dem goldenen Glanz eines Sternes. Es war gerade so, als ob einer der Sterne sich von der Feste des Himmels auf den Weg hinab zur Erde gemacht hat, um nun direkt aus dem Wintewald heraus zu leuchten. Niemand bemerkte die geheimnisvolle Erscheinung, denn die meisten Menschen hatten sich schlafen gelegt. Kurz darauf erlosch auch das letzte Licht im Dorf.
In der kommenden Nacht begann das Waldlicht abermals zu leuchten, still und klein, wie am Abend zuvor. Aber diesmal bemerkte ein Mann aus dem Dorf das Licht. Und da er keine Erklärung dafür finden konnte, zog er sich warm an und ging in die finstere Winternacht hinaus, dem Licht am Waldrand entgegen. Dort leuchtete es zwischen den Zweigen, aber der Besucher konnte auch bei genauem Hinsehen keine Erklärung dafür finden. «Es ist wunderschön», sagte er zu sich selbst, als er sah, wie das Licht den verschneiten Acker und einen Teil des Waldrandes in ein zaubrisches Leuchten hüllte. In der kommenden Nacht kam die ganze Familie, staunte und liess den geheimnissvollen Moment auf sich wirken; alle waren ganz still, so wie die Waldnacht selbst. Alle wurden erfüllt von einer nicht sagbaren Ahndung von etwas, das schön und heilig ist. In der darauf folgenden Nacht machten sich noch mehr Menschen auf den Weg zum kleinen Lichtlein, sie wurden still, bis eine Familie ein Lied anstimmte, das in der Dunkelheit der Nacht verhallte: Zu Betlehem geboren ist uns ein Kindelein, das hab ich auserkoren, sein eigen will ich sein. Auch andere Besucher stimmten ein in die schöne Weihnachtsweise und als die letzte Strophe verklang, wurde es wieder ganz still, alle waren ergriffen von der Stimmung im Schein des sanften Lichts.
Natürlich sprach sich die Geschichte herum; mehr und mehr Menschen wollten die Erscheinung sehen und kamen nach der Dämmerung zum Wald. Eines Abends meldete sich ein Ingenieur, der herausfinden wollte, was es mit dem Licht auf sich hat. Denn, da war er sich ganz sicher, es gibt für alles eine rationale Erklärung! Es stellte sich bald auch ein Beamter ein, der von dem Licht gehört hatte. «Wenn es jemand dahin gestellt hat, müssen wir prüfen, ob es den Vorschriften der Forstverwaltung und der Feuerschutzverordnung entspricht», erklärte er bedeutungsvoll. Doch wie der Ingenieur konnte auch er nichts finden, was auf Quelle des Lichts hingewiesen hätte. Noch etwas später gesellte sich ein bekannter Parlamentarier zu den Menschen, er hatte eine Rede vorbereitet, die er nun hielt. Doch die meisten Besucher konnten sich später nicht daran erinnern, was er gesagt hatte. Sie kamen her um die Stille und die geheimnisvolle Nacht im Schein des kleinen Lichts zu erleben.
Und das Licht leuchtete in einem fort. Doch eines Abends wurde beschlossen, zu Ehren der unerklärbaren Erscheinung ein Fest zu veranstalten. Am Waldrand wurde darauf alles aufgebaut, was dazu erforderlich ist: Ein Festzelt mir einer Bühne, eine Festwirtschaft und eine Bar mit bunter Beleuchtung! Als dann die Dämmerung einsetzte, begannen die Feierlichkeiten! Zu Beginn waren die Menschen noch eingestimmt auf diesen besonderen Ort, doch dann wurde die Musik aus der Bar immer lauter und wilder, was die Tiere im Wald aus ihrem Schlaf schreckte. Etwas später, es ging schon auf Mitternacht zu, erlosch ganz plötzlich das stille, kleine Licht. Anfänglich bemerkte es niemand. Als es wenige später allen bewusst wurde, meinten einige, es werden schon wieder kommen. «Nein, wir haben es verscheucht», sagte eine Frau, die ein eher zurückgezogenes Leben führte.
Das Waldlicht kam auch in den kommenden Tagen nicht zurück, es blieb finster zwischen den Zweigen, zurückgekommen war aber die Stille und das Glitzern der Sterne, das in einer klaren Winternacht über dem verschneiten Land besonders gut zu sehen war. Viele Dorfbewohner standen abends am Fenster und schauten erwartungsvoll zum Waldrand. Aber, es blieb finster. «Kommt», sagte eine Mutter zu ihren Kindern, «wir gehen zum Wald hinaus und singen ein Lied, vielleicht kehrt dann unser liebes Licht zurück.» Doch es blieb auch jetzt verschwunden.
Es war der letzte Tag vor Weihnachten, heilig Abend war gekommen. Noch einmal fiel frischer Schnee, der dem Wald ein märchenhaftes Aussehen gab. Am Mittag klarte es auf und für wenige Stunden schien die Sonne zwischen den Wolken und brachte den Menschen mit ihren wärmenden Strahlen Freude und Hoffnung. Dann aber versank sie am westlichen Horizont. Und plötzlich, an der Schwelle zur Nacht, begann das Lichtlein wieder zu strahlen. Gerade so, als wollte es der in heiligen Nacht alle grüssen und ihnen Zuversicht geben, dass Gott die Menschen niemals verlässt, ganz egal, was passiert. In dieser Nacht machten sich wieder Menschen auf den Weg zum Waldrand, um dem Licht nahe zu sein. Dann fragte eines der Kinder, weshalb denn das Licht wiedergekommen sei. Und es war dieselbe Frau, die am Fest erkannte, weshalb das Licht erlosch, die ohne nachzudenken antwortete: «Weil wir in der Stille Gottes Stimme am besten hören können».