Google’s Blitzstart in die Wolke

Auch in der Informatik wiederholt sich die Geschichte: mit Chrome OS, einem neuen, browserbasierten und damit leichtgewichtigen Betriebssystem verblüfft der Such-Primus zurzeit die Fachwelt. Während die einen über das flinke Linux-Betriebssystem begeistert und voll des Lobes sind, rümpfen andere die Nase: sowas kann doch nicht gut gehen, schliesslich will der Anwender mit seinem PC mehr machen als nur surfen! In dieser hitzigen Diskussion wird vergessen, dass die Idee von Google so neu gar nicht ist. Computer mit einer schlichten und möglichst einfachen Bedienung waren schon vor mehr als 25 Jahren ein Thema.

Chrome Cloud

Im Buch «Faszination Programmieren« von Susan Lammers ist auch ein Interview mit dem berühmten Computerpionier Jef Raskin zu finden. Über die damaligen Computer konnte er sich nicht so recht freuen, sie waren ihm zu kompliziert. Raskin wollte etwas möglichst einfaches haben. «Regen Sie sich nicht auf? Regen Sie sich nicht schon seit Jahren auf??» ereiferte sich Raskin und stellte der Interview-Partnerin einen Computer vor, der seinem Geschmack entsprach: ein Apple II, erweitert mit der von ihm selbst entwickelten SwyftCard. Sobald der Computer eingeschaltet wird, kann losgelegt werden! Es gibt keine Menus, keine Modi, einfach nur ein Cursor, der zum tippen einlädt. Swyft war ein einfaches, aber geniales System zum erfassen, durchsuchen, organisieren, drucken und speichern von Texten. Stromausfall? Kein Problem, alles ist noch da, obwohl nichts gespeichert wurde.

Leider war der SwyftCard nur wenig Erfolg beschieden. Es dauerte dann fast 10 weitere Jahre, bis die Idee vom «Thin Client» neu aufgegriffen wurde. Und diesmal von zwei ganz grossen der Branche: Scott Mc Nealy (SUN) und Larry Ellison (Oracle). Zusammen lancierten die schillernden Grossunternehmer den «Network Computer«: ein Gerät, das ohne Festplatte auskommt, ein durch Java erweitertes UNIX-Kleinstsystem startet und seine Anwendungen und Daten aus dem Netzwerk holt. Allein, auch diesem ehrgeitigen Projekt war nicht viel Erfolg beschieden; niemand wollte diese kleinen Rechner. Und einige Jahre später wurde der NC stillschweigend begraben. Warum hatte der NC nicht mehr Erfolg? Es lag nicht nur an der fehlenden Bandbreite, die Dominanz von Microsoft war zu dieser Zeit schlicht zu gross. Und erschwerend kam hinzu, dass es an Unterstützung Dritter fehlte.

Wie stehen nun also die Erfolgschancen für Google’s Chrome OS? Wenn man die Trends genau beobachtet, dann deutet einiges darauf hin, dass Chrome OS ein Trendsetter werden könnte. Aus mehreren Gründen. Da wäre zuerst das Internet, das von Millionen von Menschen genutzt wird – jeden Tag. Und Chrome OS setzt voll und ganz auf das Netz: «Only the Web«, lautet bekanntlich der Slogan. Alles dreht sich um einen schnellen Browser, der nicht nur Webseiten anzeigen sondern auch umfangreiche Applikationen ausführen kann. Google Docs zum Beispiel. Oder Picnik. Das heisst auch, dass die Programme nicht erst installiert werden müssen, sie kommen direkt vom Anbieter, werden vom Browser geladen und ausgeführt. Das ist praktisch – auch weil stets die aktuellste Version verwendet wird.

Google Chromium OS

Chromium OS

Zum zweiten: Alle Daten und Einstellungen werden in der Cloud (Wolke) gespeichert und nicht mehr auf dem verwendeten PC/Notebook. Es genügt somit, auf einem anderen PC mit Chrome OS einzuloggen um auf alle eigenen Daten, Applikationen und Einstellungen zugreifen zu können. Besonders für Menschen, die viel unterwegs sind, ist dies ein entscheidender Vorteil: geht das Netbook verloren, kann im nächsten Shop ein neues Chromebook erworben und innert Minutenfrist weiter gearbeitet werden…

Moment! Heisst Cloud nicht, dass die Daten irgendwo auf dem Server eines Dienstleisters landen? Das stimmt. Sicherheitsbedenken sind angebracht. Vetrauliche Informationen bleiben besser innerhalb eines geschützten Netzes (VPN). Andererseits: sobald ein Rechner Zugang zum Internet hat, besteht immer die Gefahr, dass Daten durch Trojaner, Keylogger oder Rootkits entwendet werden. Es muss in jedem Fall abgewogen werden, wo die Daten am besten aufgehoben sind. Und die Cloud eines vetrauenswürdigen Anbieters ist eine gute Wahl.

Aber zurück zu Chrome OS: es bietet noch weitere Vorteile: ein Chrome PS Rechner ist nach wenigen Sekunden betriebsbereit, da er den ganzen Ballast eines aufwendigen Desktop OS nicht schultern muss! Für diese Bescheidenheit bedankt sich auch der Akku, der das Gerät 8 Stunden am Leben erhält. Und weil es keine umfangreiche Desktop- und Systemeinstellungen gibt, sind die Geräte weniger wartungsaufwendig. Dafür bedankt sich sich der Sysadmin, der die Service Packs im Schrank lassen kann…

Das tönt alles gut. Der Web Desktop könnte eine Erfolgegeschichte werden. Dafür spricht auch, dass Chrome OS bereits Nachahmer hat (Webian) und sogar Microsoft mit Windows 8 den Webbrowser ins Zentrum rücken will. Google verabschiedet sich mit Chrome OS pionierhaft vom Paradigma des «Fat PC» und startet mit dem Webdesktop in neue Sphären. Der Internetspezialist hat in allen dazu erforderlichen Technologien während Jahren Erfahrungen sammeln können und die Chancen, dass es diesmal keinen Fehlstart gibt, stehen gut.

Tipp: Das Themenbild entstand mit Google Docs in nur wenigen Minuten. Zusammengesetzt ist es aus einem Screenshot, der mit Windows 7 erstellt wurde, sowie mit zwei Piktogrammen von openclipart.org. Nebst Zeichnungen können auch Texte, Tabellen und Präsentationen erstellt werden. An Office-Programme wie OpenOffice.org reicht Google Docs nicht heran, alle für den Alltag wichtigen Funktionen sind aber vorhanden!

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