Die Apostel stiessen ihr Boot vom steinigen Ufer ab, legten die Ruder in die Riemen und fuhren hinaus auf den in abendlicher Stille vor ihnen liegenden See Genezareth. Der tiefen und lautlosen Weite des blauen Himmels über dem spiegelklaren Wasser entgegen. Petrus, der Fischer aus Bethsaida, sass am Steuerruder, fühlte die milde Abendsonne in seinem Gesicht und blickte gedankenversunken über das ihm vertraute blaue galiläische Meer. In der Stille der ersten Abenddämmerung waren nur die leichten Wellen zu hören, die dumpf und gurgelnd gegen das Boot plätscherten. Begleitet wurden sie vom gleichmässigen Ruderschlag und vom aufkommenden Wind, der das Segel frisch aufblähte und dem Fischerboot neue Fahrt verlieh. Petrus dachte über die unvergesslichen Ereignisse nach, die er an diesem Tag erlebt hatte: nur einige wenige gedörrte Fische und ein paar Brote hatten ais als Proviant mitgenommen. Und doch wurden mehr als 5000 Menschen davon satt. Ein Wunder? Ja, ein Wunder! Jesus, der Kranken Gesundheit schenkt, Tote in das Leben zurückruft und von Gottes Vergebung für alle Menschen spricht – ist dieser Jesus der von Gott gesandte und in der Schrift verheissene Retter, der Messias?
Petrus war in Gedanken noch ganz bei den Erlebnissen des Tages, als plötzlich ein kräftiger Wind aufkam und am Horizont über dem blauen See ein weisser Wolkenstreifen zu entdecken war! Petrus dachte immer noch nach während er das Segel beobachtete, das sich von der von blau in purpur wandelnden Tiefe des Himmels abhob. Er hörte das Knarren der Seile, an denen das Segel festgebunden war und die Schreie einiger Möwen, die das Boot auf das Wasser hinaus begleiteten. Die Wellen wurden in diesem Moment höher und begannen sich zu kräuseln. Langsam verschwanden die grünen Hügel hinter der Uferstelle, an der das Boot am Morgen an Land ging. Die Apostel lenkten ihr Fischerboot durch die Wellen, dem Ufer von Kafarnaum entgegen. Das alte Fischerdorf war das Ziel ihrer Reise am Ende dieses langen Tages.
Petrus ist ein erfahrener Fischer, er weiss wie er sein Boot sicher zum Ziel führt; selbst wenn es stürmt und hohe Wellen gegen das Boot schlagen und klatschen. Auch Jesus, der gerade Tausende Menschen satt machte, kennt den Weg. Den von seinem Vater verheissene Weg, der zur von Gott versprochenen Seligkeit führt. «Folge mir nach», das hat Jesus schon mehr als einmal zu Petrus gesagt. Uns alle ruft Jesus zur Nachfolge auf, jeden Tag. Solange bis auch wir Vertrauen fassen und dem Zimmermann aus Nazaret folgen. Petrus folgte dem Ruf; er vertraute fest darauf, dass Jesus ein sicherer Steuermann ist. Vertrauen heisst, sich in jemandes Boot zu setzen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht.
Rasch einsetzende Stürme sind auf dem See Genezareth nichts ungewöhnliches. Sie werden von den Fallwinden verursacht, die an den Bergen rund um den See entstehen. Bald rauschte ein stürmischer Wind über den See, die Wellen schlugen höher und glitzernde Gischt spritzte über das Boot hinweg. Auch für erfahrene Fischer wie Petrus, Johannes oder Jakobus wurde es in diesem Moment gefährlich, denn das Boot drohte sich mit Wasser zu füllen. Das Segel musste gerefft, später ganz eingeholt werden, damit es nicht reisst. Der Sturm zog über die Weite des Tiberiassee und liess nicht nach. Die Fahrt der Jünger wurde schwerer und gefahrenvoller. Petrus hatte jetzt alle Hände voll damit zu tun, das schlingernde Boot auf Kurs zu halten. Und wenn er in einem kurzen Moment über den See blickte, dann war es, als ob die Feste des Himmels sich herab gesenkt hätte und die dichten und dunklen Wolken sich mit den Sturmwinden auf dem See vereinen. Vereint zu einem mächtigen und Ehrfurcht gebietenden Sturm!
Petrus dachte an das, was Jesus einmal gesagt hatte: «ich bin der Weg und das Ziel.» Unser ganzes Leben gleicht einer Reise, auf der wir auch Unwetter und Stürme zu bestehen haben. Wo finden wir Halt und Orientierung, wenn Wind, Regen und Wolken den Blick auf das Ziel versperren? Noch immer tobte der Sturm und forderte alle Kraft von den Zwölfen. Petrus hielt das Ruder fest mit beiden Armen, immer deutlicher konnte er nun das gegenüberliegende Ufer sehen, das sich fern unter dem dunklen Abendhimmel abzeichnete. Dort liegt Kafarnaum, der Ort, an dem Petrus soviel mit Jesus erlebt hatte. «Glaubt an die gute Nachricht», hat Jesus dort immer wieder zu den Menschen gesagt: durch den Glauben werdet ihr zu Gottes Kindern, beschenkt mit dem heiligen Geist. Der Geist Gottes wird euch führen auf allen euren Wegen, bis zu den fernsten Orten der Welt. Und darüber hinaus in die Ewigkeit.
Petrus dachte noch immer an Jesus Worte, als die Dämmerung kam und es dunkler wurde. Nur noch eine kurze Zeit und die Nacht breitete sich über den weiten See aus. Die Jünger ruderten mit aller Kraft auf dem nächtlichen See weiter als plötzlich ein Apostel verängstigt über das Wasser blickte, um im nächsten Moment laut zu schreien: «seht, ein Gespenst!!» Auch die anderen Ruderer blickten zu der Stelle und erkannten in der Dunkelheit ebenfalls etwas auf sie zukommen. Sie sahen zuerst nur schemenhaft, dann immer deutlicher eine menschliche Gestalt. Was wir nicht kennen, macht uns Angst, weil wir nicht wissen, was da auf uns zukommt: bedrohliches oder erfreuliches. «Fürchtet euch nicht, ich bin es!». Jetzt erst erkannten die Apostel Jesus, der auf dem Wasser ging und sich mit raschen Schritten dem Boot näherte. Wieder hat der Rabbi ein Wunder vollbracht! Seine Macht geht sogar über die Kräfte der Natur hinaus. «Jesus ist da. Nun kann uns kein Unglück mehr ereilen», sagten sich die Jünger erleichtert und glücklich: »Jesus ist bei uns!».
«Bleib bei uns», sagten die Menschen, wenn Jesus zu ihnen kam. Sie sagten es, weil sie fühlten, dass eine unendlich grosse Kraft der Liebe von Jesus ausging. Jesus war die Liebe selbst. «Bleib bei uns», sagten auch die Emmausjünger, als Jesus sie auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus begleitete. «Bleib bei uns, denn es will Abend werden.» Der Abend ruft uns vom Tageswerk und von der Reise zur Ruhe. Der Abend schenkt uns die letzten hellen Stunden des Tages vor dem Einbruch der Nacht. Jesus sprach oft von Licht und Dunkel, erinnerte sich Petrus, als er den Meister auf dem Wasser erkannte. «Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.» Das hat Jesus gesagt. Kann auch ich wie Jesus auf dem Wasser gehen, fragte sich Petrus in diesem Moment. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und rief zu Jesus: «wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen.» Und Jesus streckte ihm die Hände entgegen und rief zurück: «komm!»
Petrus geht auf dem See. Zuerst noch ganz unsicher, zögerlich und mit kurzen, tastenden Schritten. Noch ist sein Gesicht angespannt und er breitet seine Arme aus, um zwischen Wind und Wellen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Doch dann werden die Schritte des treuen Fischers fester und seine Gesichtszüge hellen sich wieder auf. Petrus geht mitten durch den Sturm auf seinen Meister zu. Durch Jesus und die Kraft meines Glaubens vermag auch ich ein Wunder zu vollbringen, sagte sich Petrus und ging voller Zuversicht die nächsten Schritte. Petrus strahlte im Gesicht und streckte seine Hände schon vertrauensvoll zu Jesus aus. Doch dann blickte er einen Moment um sich und sah sich umgeben von hohen Wellen, die ihn dunkel und rauschend zu umfassen und unter sich zu begraben drohten. Das rettende Boot verschwand in der Ferne und war kaum mehr zu sehen. Und durch das neue Erwachen von Furcht und Zweifel schien auch Jesus plötzlich in weite Ferne gerückt zu sein. Für einen kleinen Moment, nur für einen kleinen Moment verliert Petrus den Glauben. Den Glauben daran, dann er durch Jesus durch die Kraft des Glaubens an Gott Wunder und Zeichen zu vollbringen vermag. Petrus blickt auf und sieht mir grossen, furchtsamen Augen in die Wand aus Gischt und Wellen. Petrus beginnt zu sinken.
«Rette mich!», schrie Petrus zu Jesus, als er auf den Wogen mit seinen Füssen keinen Halt mehr fand, tiefer und tiefer im schwarzen Wasser unter dem Nachthimmel versank. Höher schlugen die Wellen am Fischer empor und bald auch über ihn hinweg. die Kälte des Wassers umschlang ihn er konnte die Arme kaum mehr über Wasser halten und wehrte sich verzweifelt dagegen, ganz im Wasser zu versinken. Petrus war ein Fischer, er war ein erfahrener Bootsmann und ein geübter Schwimmer. Doch im Angesicht der mächtigen Naturgewalten auf dem See erkannte er, wie klein und hilflos der Mensch gegen diese gewaltigen Elemente ist.
Plötzlich stand Jesus vor ihm und hielt Petrus die rettenden Arme entgegen. Petrus ergriff sie und konnte im nächsten Moment wieder atmen, die bange Umklammerung löste sich auf und durch das Festhalten der Hände wurde Petrus mit neuem Vertrauen erfüllt. Petrus war gerettet, er blickte zu seinem Meister, der ihn dem Verhängnis entrissen hatte. Das konnte Jesus, Menschen retten. Und das tat er auch! «Wer zu mir kommt, den werde ich nicht zurückweisen», hat Jesus gesagt. Er hat den Hilferuf von Petrus gehört.
«Warum hast du den Glauben verloren?» fragte Jesus. Jesus lehrte seine Jünger, dass der Glaube Berge versetzen kann, wenn er nur stark genug ist. «Stärke unseren Glauben», baten die Jünger. Das können auch wir tun: um einen stärkeren Glauben bitten. Hier und Heute – so wie damals am See Genezareth. Petrus verlor für einen Moment den Glauben, doch er fand ihn wieder. Auch in den schweren Stunden in Jerusalem, als Jesus verraten und verhaftet wurde, leugnete Petrus, Jesus zu kennen. Petrus verlor den Glauben – und dadurch den Mut. Doch er fand beides wieder: «man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen», entgegnete Petrus später dem Hohepriester mächtig und fest entschlossen, als dieser ihm das Verbreiten der guten Nachricht verbieten wollte. Petrus war erfüllt mit dem heiligen Geist, sein Glaube war so stark geworden, dass er Blinden das Augenlicht schenken, Kranke heilen und Tote auferwecken konnte! Du bist Simon, der Fels, sagte Jesus einmal zu Petrus.
Zweifel, Angst und das Scheitern sind Teil unseres Lebens. Jesus wusste das, er kannte die Menschen. Er sah aber auch in die Herzen, Gott kennt uns bis in unser innerstes Wesen. Wenn wir zu fallen drohen, dann ist Gott da und reicht uns seine Hände. So wie Jesus Petrus auf dem See die Hände reichte. Je näher wir bei Gott sind, desto schneller kann er uns helfen. Wie kommen wir näher zu Gott? Dadurch, dass wir die Liebe, die er uns schenkt, erwidern und an unsere Mitmenschen weitergeben. Petrus wusste das, darum wurde sein Glaube stärker und führte näher in die Gegenwart Gottes. Petrus machte sich auf den Weg in die Welt, um die gute Nachricht zu verkünden. Nichts konnte ihn davon mehr abhalten. «Hüte meine Schafe», sagte Jesus zu Petrus. Jesus vertraute auf Petrus, obwohl Petrus auf dem See und in Jerusalem scheiterte. Wer liebt, der vergibt. Und wahres Vertrauen ist stärker als aller Zweifel.
Der Sturm legte sich und das Boot setzte seine Fahrt fort. Spät in der Nacht erreichen die Jünger zusammen mit Jesus Kafarnaum. Sie hatten ihr Ziel erreicht.