Am Anfang des zweiten Monats im neuen Jahr lädt die reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn seit 1912 zum alljährlichen Kirchensonntag ein. «Willkommen – Gastfreundschaft in unserer Kirche», das war diesmal das Thema. Bei der Kirche finden wir weit geöffnete Türen. Kirchenräume sind offen für unsere Anliegen, für unser Bedürfnis nach Stille, oder dem Wunsch nach einem Zuhörer. Die Kirche bietet allen Menschen Gastfreundschaft, ein «Schärmdach» auf dem Weg durch das Leben.
«Wir möchten heute Eure Gastgeber sein», so nahm Ruth Blaser das Thema in ihrer Begrüssung auf und lud die Besucher dazu ein, die Kirche ohne Scheu und mit neu erwachtem Interesse zu entdecken. «Die Kirche ist für alle da», fuhr die Ratspräsidentin fort, «ungeachtet ihrer Religions- oder Bekenntniszugehörigkeit». Was aber ist Gastfreundschaft? Das Ratsteam liess sich etwas besonderes einfallen, um auf diese Frage eine Antwort zu geben: es wurde die Geschichte von Vater Martin erzählt, dem Schuhmacher aus der berühmten Geschichte von Leo Tolstoi. Während des Vortrages waren auf einer Leinwand llustrationen zur Geschichte zu sehen und Jürg Neuenschwander bereicherte den Vortrag durch bekannte Jodelmelodien auf der Orgel. Das Spiel des Orgelvirtuosen und Komponisten aus Worb war wie immer mitreissend und von höchster Güte! Es trug und stützte die schöne Geschichte und brachte einen Hauch russischen Winterzaubers in die Rüderswiler Kirche.
Was hat Vater Martin erlebt? Elisabeth Beer, Marianne Zaugg und Erika Stocker begannen zu erzählen: am heiligen Abend war Vater Martin allein und einsam, bis Jesus Christus ihm im Traum erschien und ihm einen Besuch für den kommenden Tag ankündigte. So wartete Vater Martin den ganzen kommenden Tag auf seinen Gast. Doch es schien so, also wollte Jesus nicht kommen. Stattdessen meldeten sich ein frierender Strassenkehrer und eine Bettlerin in der warmen Stube. Martin nahm sie freundlich auf, bewirtete und beschenkte sie. Und dann, als es schon Abend werden wollte, bemerkte Martin, dass Jesus ihn durch die bedürftigen Besucher doch besucht hatte. «Ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt» (Matth. 25,35), so leitete Marianne Zaugg am Ende der Geschichte zur biblischen Botschaft über und las aus dem Matthäus-Evangelium vor.
Es ist zu einer schönen Tradition geworden, dass Jürg Neuenschwander am Kirchensonntag Rüderswil besucht und mit seinen Melodien die Besucher erfreut und den Gottesdienst bereichert. Das war auch dieses Jahr nicht anders und am Ende der Feier zeigte sich der Orgelkünstler noch einer anderen Tradition verbunden: wie in den vergangen Jahren spielte Jürg Neuenscheander eine Zugabe und liess den Zuhörern die Wahl: «Weit dir e Chlepfer oder es Jodellied?» Die Zuhörer entschieden sich für ersteres und schon im nächsten Moment rauschte die bekannte Titelmusik aus dem Film «Fame» virtuos und kraftvoll durch die Kirche! Mit der Zugabe war der Gottesdienst aber nicht zu Ende, denn nun wurde vor dem Chor der Kirche ein reichhaltiges Apéro mit Käse und Züpfe serviert. Alle griffen herzhaft zu und da die gelungene Feier viel Gesprächsstoff bot, verging die Zeit bis zum Mittag wie im Fluge.
Aber zeichnet sich ein guter Gastgeber nicht gerade dadurch aus, dass seine Gäste bei ihm Kurzweil haben und am Schluss bereichert und glücklich wieder nach Hause gehen? Und zu sich selbst sagen: da gehe ich gerne wieder einmal hin! Genau dies gelang dem Rüderswiler Team und so wurde das Thema dieses Kirchensonntages in schöner Art und Weise ausgefüllt. Wir kommen gerne wieder!