Sehr geehrte Frau Rieder
Vor einigen Tagen erfuhr ich in den Medien, dass Pro Helvetia das Programm «echos» zur Förderung der Schweizer Volkskunst initiiert hat. Im ersten Moment hat mich das gefreut, denn dass ausgerechnet Pro Helvetia Interesse für unser traditionelles Kulturgut zeigt, ist eine Überraschung. Bisher waren bei den elitären, staatlichen Kulturförderern Tradition und Brauchtum ja mehr ein Reizthema als etwas, das Unterstützung verdient. Und Ihre Organisation fiel in den vergangenen Jahren eher durch die Unterstützung – bitte gestatten Sie mir den Begriff – fragwürdiger «Kulturprojekte» auf. Pro Helvetia sorgte für Negativschlagzeilen und ist der Gegenstand kontroverser Diskussionen in den eidgenössischen Räten.
Pro Helvetia hat 2004 in Paris eine Ausstellung von Thomas Hirschhorn mitfinanziert, die kein gutes Licht auf die Schweiz warf: Mit einem gekippten Schweizerkreuz vor einem blutüberströmten Abu Ghraib Häftling warb der «Künstler» für seine Ausstellung. Und es kommt noch schlimmer: 1997 hat Pro Helvetia mit CHF 200.000.– ein Projekt unterstützt, bei dem im Ausland selbstanklägerische Filme gezeigt wurden, darunter «Nazigold und Judengeld». Ein Film, der völlig einseitig und unter Auslassung der historischen Fakten die Schweiz verurteilte und nicht nur in den USA einen Imageschaden der Schweiz zur Folge hatte, der bis heute nachhallt.
Und nun will Pro Helvetia ein Schweizer Volkskunst-Projekt lancieren. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will gerne daran glauben, dass etwas gutes dabei herauskommt und ich habe das Informationsangebot auf Ihrer Homepage sorgfältig durchgelesen. Was mir dabei besonders auffällt: Ihr Projekt ist ehrgeizig, wenn nicht sogar etwas unbescheiden. Denn Sie wollen nicht unsere bestehende Volkskunst thematisieren. Nein, Sie wollen eine neue Volkskunst skizzieren und zwar für ein ganzes Jahrhundert: «Pro Helvetia öffnet mit dem Themenprogramm „echos“ ein Forum für die Volkskultur des 21. Jahrhunderts». Würde ein so ehrgeiziges Projekt von einer der Volkskunst nahestehenden Organisation gestiftet, dann würde ich gerne daran glauben und auch mitmachen. Aber Pro Helvetia?
Wo war Pro Helvetia, als die Volkstümlichen bei der Expo.02 de facto ausgeladen wurden? Wo war Pro Helvetia, als das Zentrum für Volkskultur in Burgdorf geschlossen wurde? Wo waren Sie, als die «Füfi Musig» auf die Musigwälle verbannt wurde, die auch heute noch nicht in der ganzen Schweiz empfangen werden kann? Wo waren Sie, als in der Stadt Biel eine Kulturkommission unter Ausschluss der Volkskunst gegründet wurde? Wo war Pro Helvetia, als im Schweizer Fernsehen das volkstümliche Angebot massiv gekürzt wurde? Und wo war Ihre Stiftung, als in zahllosen Zeitungsberichten abwertend über die Volkskunst berichtet wurde*?
Für mich stellt sich die Frage: Warum muss es gleich eine «neue Volkskunst» sein? Wäre es nicht besser, die jetzige Volkskunst zu fördern und dafür einzustehen, dass sie bei den Medien und der Politik etwas mehr Wertschätzung und Anerkennung bekommt? Sie selbst schreiben in Ihrer Einleitung ja, dass die Schweiz ein gespaltenes Verhältnis zu seiner kulturellen Tradition hat. Bei Schönwetterveranstaltungen der Politik sind Fahnenschwinger, Jodler und Alphornbläser gerne gesehen. Weisen die Volkstümlichen aber auf ihre Anliegen und Sorgen hin, dann finden sie bei deselben Magistraten und bei den Medien wenig Gehör. Und es sind einige Schwierigkeiten, mit denen sich die Volkstümlichen heutzutage auseinandersetzen müssen, das Problem mit dem fehlenden Nachwuchs ist zwar eines der wichtigsten, aber bei weitem nicht das einzige. Es beginnt bereits in der Schule, wo alles rund um den Themenkreis «Heimat», «Tradition» und «Brauchtum» von Teilen der Lehrerschaft als reaktionär und verstaubt eingestuft wird. Wie wäre es, wenn Pro Helvetia hier etwas Gegensteuer geben würde?
Es findet seine Fortsetzung bei den Mainstream-Medien, die oft abwertend oder gar nicht, mit Sicherheit aber mit wenig Sachkenntnis über volkstümliche Anlässe berichten. Das liest sich dann oft gerade so, wie wenn jemand am Morgen am Kiosk ein Päckli Kaugummi bestellt: fade und langweilig. Ohne jede Begeisterung, ohne Enthusiasmus oder Hingabe an die Sache. Man kann solche Berichte in der Zeitung lesen, man kann es aber auch mit demselben Recht bleiben lassen, es spielt keine Rolle.
Ich will abschliessend noch einmal betonen, dass mich das Engagement von Pro Helvetia freut. Sicher werden Sie aber in Anbetracht meiner Bedenken verstehen, dass ich Ihr Programm mit einer grossen Portion Skepsis verfolgen werde, verbunden aber auch mit der Bereitschaft, meine Meinung über Pro Helvetia zu ändern.
Freundlich grüsst Sie
Benjamin Stocker
* Siehe Mittelland Zeitung, eine Woche vor dem eidgen. Jodlerfest Aarau 2005: als Medienverantwortlicher verfasste die Zeitung einen Bericht, in dem die Jodler als Ewiggestrige, dem „Landi Geist“ anhängende Traditionalisten vorgestellt wurden. Dazu gab’s ein trauriges Foto, das mindestens 30 Jahre alt war. Der Bericht warb zwar für das kurz bevorstehende grosse Jodlerfest; aber nicht dazu, es zu besuchen.