«Ich sehe noch genau ihr Gesicht vor mir, als ich ihr sagte, dass ich in meinem Garten Krähen füttere. Sie machte grosse Augen, wurde dann zornig und rief: „Was, Sie füttern Krähen?!“ Nein, ich füttere sie ja gar nicht, ich gebe ihnen nur etwas zu essen, damit sie in meinen Garten kommen und ich sie beobachten kann. Es macht mir doch so viel Freude, diese klugen Vögel zu sehen. Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb so viele Menschen böse sind auf die Krähen. Was haben sie denn bloss getan, dass alle sie vertreiben und verjagen wollen?
Gerade heute kam eine grosse Rabenkrähe und landete auf der Mauer vor dem Garten so geschickt und elegant, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Dann schnappte sie sich ein Stück Brot, flog zu einem Brunnen, hielt es dort einen Moment in das Wasser und flog dann davon. Und diesen Sommer besuchte mich regelmässig eine Krähenmutter. Manchmal hatte sie eines ihrer Kinder dabei. Die jungen Tiere wären so süss anzusehen, dass ich fast traurig war, wenn sie mich wieder verliessen.
Einst kannte ich einen Arzt, auch er mochte Krähen und erzählte mir aus seiner eigenen Kindheit, was er mit den schwarzen Vögeln alles erlebt hat. Während andere Kinder mit Katzen spielten fütterte er die Rabenkrähen. Einige von ihnen wurden zahm und blieben den ganzen Tag in der Nähe des Hauses. Eine von ihnen setzte sich jeden Morgen auf die Fensterbank vor dem Schlafzimmer und rief so, dass es klang wie „S’isch Zyt, ufstah! S’isch Zyt!“.
Leider schimpfen meine Nachbarn immer wieder mit mir, sie finden Krähen nur lästig, haben gar Angst vor ihnen. Aber ich lasse mich die Freude an meinen kleinen schwarzen Freunden nicht nehmen.»
Frau Gerber’s Krähen
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