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Wiehnachtsgruess

«Er öffne euch die Augen des Herzens, damit ihr erkennt, was für eine Hoffnung Gott euch gegeben hat, als er euch berief.» (Eph. 1,18)

Wie genau der Stärn vo Betlehem glüchtet het, wüsse mir leider nümme. Aber soviel isch sicher: es isch es hälls, strahlends Himmelsliecht gsi, e Stärn wo ar Himmelsfeschti si Bahn zoge het, uf sim Wäg nach nach Judäa, nach Betlehem. E Stärn het am Himmel glüchtet, als Zeiche für alli Mönsche, dass Gottes sägnendi Hand ds ganze Ärderund berüehrt. U itz, wo mir zum Betlehem-Stärn luege, dörfe mir o d Gschicht vo de drei Stärndüter verzelle. Es färns Land isch ihri Heimat gsi, villicht Babylon, oder gar Susa. Si hei der häll Stärn gseh u hei nid dra zwyflet, dass sich mit däm Himmelsliecht e alti Prophezeiig erfüllt: d Geburt vo däm, wo ds Tor zum Himmel wyt ufmacht u üs mit Gott versöhnt.

Die drei Magier hei sich uf e Wäg gmacht, mänge Monet isch ihri Reis gange, der Stärn am Nachthimmel het ihne der Wäg gwise. D Reis zum neugeborene Chünig het se a der grosse Stadt Jerusalem mit em Tämpel u de prächtige Paläscht verbi gfüehrt. Aber Chaschpar, Balthasar u Melchior hei nid möge verwyle. Die Wält mit ihrem Lärm, mit de Mächtige u Grosse isch nid für seie gsi. Drum sy si wyterzoge u hei Betlehem erreicht. U druf der Stall, d Chrippe mit em Jesus. Aber wie hei si de das letschte Wägstück vom Dorf zum Stall gfunge? U warum si die drei weise Manne so sicher gsi, dass si der Chünig vo allne Chünige tatsächlich gfunge hei? Ihne isch ja nid so wie de Hirte e Ängel erschyne. Nei, es sy d Härze gsi, wo ihne das hei entdeckt. Die drei Stärndüter hei drum nid nume es grosses Wüsse gha, si hei sich o es Läbe lang es offnigs Härz bewahrt. Wunder, Zeiche u d Gwüssheit, dass e liebende Gott üs begleitet, die drei Stärndüter hei a das gloubt. U dä Gloube het si zäme mit em Stärn zum Stall vo Betlehem gfüehrt.

Wenn es wider Wiehnachte wird, de erwacht o i üs e Stärn, Heiteri u Hoffnig wei am Firmamänt vo üsere Seele ufgah u lüchte. U wenn mir mit em Härz härelose, de finge o mir der Wäg zum Stall. I wünsche allne Läser es gsägnets Wiehnachtsfescht u de es glückliche neus Jahr! U danke, dass dir hin u wider mit Syte bsuechet.

Jesus von Nazareth – Prolog

Jesus von Nazareth

Joseph Ratzinger, Benedikt XVI: Jesus von Nazareth – Prolog

Über der Stadt Betlehem leuchtete ein heller Stern, er wies drei Waisen aus dem Morgenland, Astronomen aus Persien, den Weg zu der Krippe, in der das neugeborene Kind lag. Die drei Sterndeuter hatten einen weiten Weg zurückgelegt, viele Tage und Nächte folgten sie der Bahn des strahlenden Himmelskörper, der in den ersten Abendstunden zu leuchten begann und ihnen den Weg nach Betlehem wies. Sie folgten dem Himmelslicht, weil sie in ihm die Erfüllung einer alten Prophezeiung erkannt hatten. Der Stern wies hin auf einen grossen König, voller Gerechtigkeit und Güte. Und dann, angekommen am Ende ihres Weges, fanden Sie den ärmlichen Stall und das Kind in einer Krippe, Maria und Josef, umgeben von Tieren und Hirten aus dem Umland.

Wir kennen diese Geschichte, die Erzählung der Geburt von Jesus Christus, so wie sie uns die Evangelisten Matthäus und Lukas überliefert haben. Während Lukas von der wunderbaren Engelserscheinung, den Hirten auf dem nächtlichen Feld und dem Kind im Stall berichtet, verdanken wir Matthäus die Erzählung von den Weisen, die dem Stern folgten und das gefundene Neugeborene anbeteten. Aber, hat sich dies wirklich so zugetragen, wie Lukas und der Levit es und schildern? In seinem neuesten Buch, «Jesus von Nazareth – Prolog, die Kindheitsgeschichten», gibt Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI, eine Antwort auf diese vieldiskutierte, am Jahresende besonders aktuelle Frage. Wie bei den ersten beiden Bänden des dreiteiligen Werkes, betont Ratzinger auch im dritten Buch, das von der Geburt und Kindheit des Nazareners berichtet, dass das Werk in keiner Weise ein lehramtlicher Akt sei, «sondern einzig Ausdruck des persönlichen Suchens nach dem Angesicht des Herrn.» Ratzinger hat dieses dritte Werk zur Ankündigung und Geburt Jesu schon im ersten Band seiner Trilogie angekündigt. Wohin hat diese persönliche und gewiss innige Suche den Gottesmann aus Bayern geführt, der als einer der brillantesten Theologen unserer Zeit gilt? Das neue Buch wurde mit Spannung erwartet und es enttäuscht diese Erwartungen nicht, im Gegenteil!

Dürfen wir den Berichten zur Geburt von Johannes und Jesus vertrauen? Wurde Jesus wirklich in Betlehem geboren und von persischen Magiern beschenkt? Joseph Ratzinger antwortet auf diese Fragen mit einem deutlichen und theologisch tief fundierten Ja! Die Evangelisten wollten mit Ihrem Berichten nicht Geschichten, sondern Geschichte schreiben. Matthäus liebte es, seinen Text an manchen Stellen Satz für Satz mit Verweisen auf die alten Propheten zu stützen. Mit der Ankündigung und Geburt des Christus erfüllen sich die alttestamentlichen Weissagungen und – umgekehrt – können erst durch die Geschehnisse in Betlehem die Prophezeiungen in ihrer ganzen Tragweite verstanden werden.

Lukas schreibt im Prolog seiner guten Nachricht, dass sich sein Bericht auf Aussagen von Augenzeugen stützt, er ist dem Gesagten sorgfältig nachgegangen und hat dann alles in geordneter Reihenfolge aufgeschrieben. Was sind das für Augenzeugenberichte? Joseph Ratzinger hält es für wahrscheinlich, dass Maria am Ende ihres Lebens von den persönlichen Erlebnissen am «Morgen ihres Lebens» erzählt hat. Lukas gibt uns einen Hinweis darauf, wenn er zweimal schreibt, dass Maria sich das Geschehene einprägte und immer wieder darüber nachdachte. Auch als Maria der Engel erschien, um ihr die Geburt eines Sohnes zu verkündigen, erschrak sie zwar zuerst, so wie Zacharias; aber dann dachte sie darüber nach, was der Gruss des Engels zu bedeuten hat. Joseph Ratzinger stellt uns die Gottesmutter als eine Frau vor, die furchtlos und überlegt handelt. die mit Verstand und Herz «das Ganze von Gottes Botschaft zu erkennen sucht.»
Und Joseph Ratzinger findet bei der Verkündigung einen weiteren wichtigen Punkt: Der Engel Gabriel grüsst im griechischen Urtext Maria nicht mit dem hebräischen schalom, sondern mit der griechischen Grussformel chaire – Freue dich! Der Gruss des Himmelsboten wird zum Thema, das die folgenden Geschehnisse durchdringt, die Ankunft des Messias, der die Menschen mit Gott versöhnt. Die gute Nachricht für alle Menschen auf Erden – die frohe Botschaft.

Wie steht es aber mit der Jungfrauengeburt? Ist sie Fakt oder Fiktion? Joseph Ratzinger hat dieser Frage ein eigenen Abschnitt gewidmet und beantwortet die Frage unmissverständlich: «Die Antwort lautet ohne Einschränkung: Ja.» Warum? Schon Karl Barth wies darauf hin, dass das Wirken Gottes im neuen Testament zweimal in die materielle Welt eingreift: die jungfräuliche Geburt und die Auferstehung aus dem Grab, emporsteigend in die göttliche Dimension. Gott wirkt nicht nur in Ideen, so wie der moderne Geist es gerne hätte, er umfasst alles Geschaffene, auch die Materie. schon Maria erhielt ja vom Engel auf Ihre Frage nach dem Wie eine Antwort: Für Gott ist nichts unmöglich. Maria vertraute der himmlischen Erscheinung. Wir können dies als eine Einladung verstehen, der guten Nachricht ebenfalls zu vertrauen.

heilige drei koenige
Die drei Waisen aus dem Morgenland, historische Persönlichkeiten (Bild: Nina Aldin Thune/Wikipedia)

«Ich sehe einen, noch ist er nicht da; ganz fern erblick ich ihn, er kommt bestimmt! Ein Stern geht auf im Volk der Jakobssöhne!», die Prophezeiung Bileams im vierten Buch Moses könnte den persischen Astronomen bekannt gewesen sein, es ist aber auch gut möglich, dass es andere Prophezeiungen gab, die mit dem Erscheinen eines hell leuchtenden Himmelskörpers das Kommen eines grossen Königs, eines Erlösers ankündigen. Während gerne betont wird, dass man Theologie nicht mit Astronomie vermengen dürfe, schicken andere Stimmen das Erscheinen des Betlehem-Sternes entschieden in die Welt der Mythen und Sagen. Aber, wie Joseph Ratzinger im zweitletzten Kapitel betont, hat um das Jahr 7 auf 6 v.Chr. eine Konjunktion von drei Planeten stattgefunden. Und dieses ist auch das heute für wahrscheinlich angesehene Geburtsjahr Jesu. Die Sterndeuter folgten dem Stern, der ihnen den Weg nach Westen, nach Judäa, wies. Da sie die Geburt eines Königs erwarteten, war ihr Ziel der Palast des Herodes in Jerusalem. Eine Stelle im Buch des Propheten Micha führte sie schlussendlich nach Betlehem.

Ratzingers neues Buch, das den beiden ersten Bänden über Jesus als Prolog vorangeht, fördert Neues und Überraschendes über die Weihnachtsgeschichte zutage. Einmal ist es für den grossen Theologen wichtig, dass das, was wir bei Lukas und Matthäus lesen, der Wahrheit entspricht. Die Evangelien sind vertrauenswürdig, wir dürfen ihnen glauben. Die Verfasser der guten Nachricht wollten nicht schöne und erbauliche Geschichten erzählen, sie berichten davon, was sich vor 2000 Jahren tatsächlich zugetragen hat. Aber die Berichte sind nicht in Stein gemeisselte Majuskeln, die wir für wahr oder unwahr halten können. Gottes Wort möchte von uns gelesen werden, es will, dass wir darüber nachdenken, so wie es Maria getan hat. In unserem Geiste wird es lebendig und weist uns den Weg hin zu Gott und seiner unendlichen Liebe. So schreibt es auch Ratzinger im Klappentext, er hofft, «dass das Buch trotz seiner Grenzen vielen Menschen auf ihrem Weg zu Jesus und mit Jesus helfen kann.»

Zeitmanagement mit Jesus

Jesus Christus, gespielt von Brian Deacon, 1979. Quelle: jesus.ch

Jeder Mensch wird am Entstehen eines neuen Tages etwas eigenes und für ihn besonderes finden, wenn er einen Moment inne hält und sich von der Empfindung tragen lässt, wenn er sich Zeit dafür nimmt. Aber gerade das ist immer mehr ein Problem in unserer hochgetakteten modernen Zeit. Eine volle Agenda bestimmt unsere Tagesablauf und so eilen wir mit dem Smartphone vor den Augen vorbei an einem frischen Sommermorgen, an einem blühenden Apfelbaum, an einem Schneeberg, der sich vor dem tiefblauen Himmelsgrund eines schönen Tages strahlend abhebt. Und bevor wir bemerken, wie schnell die Zeit eines freundlich hellen Tages verrinnt, kommt der Abend. Und wenn der nächste Morgen sich ankündet, so nur, um sich in den Kreislauf des geschäftigen Lebens einzureihen. Das klingt pessimistisch, aber wie oft ist es so?

Ein grosses Risiko birgt sich hinter diesem Geschehen: die Gefahr, dass nicht nur der Sinn für einen schönen Sommertag verloren geht, der uns einlädt, im Schatten eines grünenden Baumes auszuruhen und durch das Blätterwerk den Himmel zu betrachten. Verloren gehen kann auch die Beachtung der Menschen, die um uns sind und vielleicht auf unsere Hilfe, unseren Rat oder einfach nur auf unsere freundliche, zusprechende Gesellschaft hoffen.

Es gab eine Zeit, da lebte am See Genesaret in Galiläa ein Mann, der eine Schar aus Jüngerinnen und Jüngern (heute würden wir vielleicht «Fans» sagen) um sich sammelte und durch das Land zog. Am Abend ruhten sie sich vom Tageswerk aus, das aus missionieren, predigen und heilen bestand. Der Mann, dem die Jüngerschar folgte, hiess Jesus Christus. Vieles an ihm war aussergewöhnlich, er heilte Kranke, richtete Lahme auf und gab Blinden das Augenlicht wieder. Wenn er predigte, wollten die Zuhörer gar nicht mehr nach Hause gehen, so real und fassbar stellte der Rabbi das kommende Reich Gottes vor sie hin. Sogar Tote holte Jesus ins Leben zurück. Und noch etwas war an ihm besonders: er hatte Zeit. Wir finden dazu einige Beispiele im neuen Testament: wenn Jesus von Hilfesuchenden umringt wurde, so hatte er doch auch Zeit für die Kinder (Mk 10,45). Der Erweckungsprediger Wilhelm Busch bezeichet eine Stelle, in der es um Zeit geht, als die schönste der ganzen Bibel (Mk 10,46-50): als Jesus seine letzte Reise nach Jerusalem antrat, kam er auch durch Jericho. Ein blinder Bettler, Bartimäus, erfuhr, dass Jesus durch die Stadt zog, erkannte seine Chance und begann verzweifelt und immer lauter um Hilfe zu schreien. Es war aber eine grosse Menschenmenge um Jesus, das Passah Fest stand unmittelbar bevor, der Weg nach Jerusalem noch weit, die Zeit drängte!

Aber… Jesus blieb stehen. In diesem Augenblick grösster Erwartungen auf den Einzug in Jerusalem und der Erfüllung der alten Prophetien bleibt der Messias stehen! Alles kann jetzt warten, wichtig ist nur dieser arme Blinde, der sein ganzes Vertrauen in Jesus gesetzt hat. Und dieses Vertrauen ist es auch, das Bartimäus Heilung bringt. Wenn es um seine Mitmenschen ging, hatte Jesus immer Zeit, er verlor ihre Sorgen und Anliegen nie aus den Augen.

Wie würde das heute ausehen in einer grossen Stadt, so wie es Jericho damals war? Vor einem glänzenden Komplex aus Banken und Geschäftshäusern gehen viele Manager, Finanzexpertinnen und Anlageberater hastig ein und aus. Hier ist er wieder, der eilige Takt der modernen, mondänen Business-Welt. Ein Mann in dunklem Anzug, den Aktenkoffer in der einen, das Blackberry in der anderen Hand, eilt über die Strasse. Es ist ihm anzusehen: er hat nur wenig Zeit bis zum nächsten «Event». Plötzlich taucht vor ihm ein anderer Mann auf, verwahrlost, in schmutzigen, abgetragenen Kleidern, in der Hand eine Bierflasche statt dem Lederkoffer. «Hätsch mir es paar Stutz?», die Bitte ist wohlbekannt. Was tut nun der adrette Manager? Er könnte rasch am Bettler vorbeigehen, die Sache wäre damit erledigt. Doch nun geschieht das Unerwartete: er bleibt stehen.
Was tut er nun für diesen «Randständigen»? Wir wissen es nicht. Aber genau so wichtig wie seine Hilfe ist das, was er in diesem Moment entscheidet: er nimmt sich Zeit für einen Menschen, der auf ihn hofft.

Ich komme zum Abschluss noch einmal auf Jesus zu sprechen: er ist nach seinem Tod am Kreuz von Gott auferweckt worden – und lebt. Er hat auch heute Zeit für uns, so wie damals für Bartimäus. Wir brauchen nicht einmal mehr laut zu schreien, damit er uns hilft. Nur vertrauen müssen wir.

» Christliches Zeitmanagement mit Benjamin Floer

Die Zeit und das Glück

In meinem Blog gab es schon einmal einen Beitrag mit diesem Titel. Mir gefällt diese Überschrift, denn je mehr ich über diese beiden Begriffe nachdenke, desto klarer wird der feste Zusammenhang, der die beiden miteinander verbindet. Da ist zum ersten die Zeit. Von ihr ist uns für unser eigenes Leben nur ein beschränktes Mass gegeben. Wir wissen nicht einmal, wieviel es sein wird. Gerade deshalb ist die Zeit ein so wertvolles Gut; wir sollen bewusst damit umgehen und danach streben, sie mit Sinn und Gehalt zu erfüllen. Ein sinn-erfülltes Leben – gibt es jemanden auf dieser Erde, der sich das nicht wünscht? Oder: für unser Lebensglück ist es wichtig, darauf zu achten wie wir unsere Zeit nutzen, was wir aus jedem neuen Tag machen. Daran ist durchaus nichts neues, das Nachdenken über die Zeit ist so alt wie die Menschheit selbst. Von Arthur Schopenhauer, dem grossen deutschen Denker des 19. Jahrhunderts stammen einige der schönsten Gedanken zu diesem Thema. Schopenhauer mahnte unter anderem daran, besonders die ersten Stunden eines neuen Tages zu nutzen. Denn der frische Morgen gleiche der Jugend unseres Lebens. Es sei daher wichtig, ihn nicht zu verschlafen. Und Seneca, den seine Gemütsruhe nicht immer von der pulsierenden Hektik der römischen Metropole schützen konnte, stellte fest: wir haben nicht zu wenig Zeit, wir vergeuden zuviel!

Und da ist das Glück. Wer möchte nicht glücklich sein? Möchte nicht, dass sein Lebensweg ihn aufwärts führt, zum Parnass der Glückseligkeit. Wer hin und wieder eine Wanderung in der Schweiz unternimmt, kennt die Wegweiser, die in schöner Regelmässigkeit bei Kreuzungen, Verzweigungen und Pässen anzutreffen sind. In der Schweiz sind diese gelben, mit Ort, Distanz und Wegzeit beschrifteten Wanderwegweiser zum Sinnbild für Richtung und Ziel geworden. Welchen Weg wollen wir gehen? Oder, genauer bestimmt für unser Thema: welcher Weg führt uns zum Glück des menschlichen Daseins? Damit sind wir bei der Frage aller Fragen angelangt. Bei der Frage, die den tiefsten Grund unserer Existenz berührt und deshalb zu allen Zeiten im Mittelpunkt menschlichen Denkens stand. Welchen Weg müssen wir einschlagen? Wenn wir diese Frage stellen, begeben wir uns damit – ob wir nun wollen oder nicht – an eine Wegkreuzung. Denn, was die Glückseligkeit ausmacht und wie sie zu finden sei, darüber gehen die Meinungen auseinander. Dies hat schon Aristoteles in der Einleitung seiner nikomachischen Ethik festgestellt: „was aber die Glückseligkeit sei, darüber streiten sie und die Leute sind nicht derselben Meinung wie die Weisen.“

Und da wir gerade bei Aristoteles angelangt sind: was würde er wohl auf einen der Wegweiser geschrieben haben als sicheres Rezept für ein glückseliges Leben? In seinem grossen, oben erwähnten Werk finden wir die Antwort: der Weise aus Stagira entdeckte, dass jedes Lebewesen nach der ihm eigentümlichen Vervollkommnung strebt. die Pflanze bespielsweise will wachsen, gedeihen und blühen. Hier findet sie ihre Vollendung, ihr Glück als Pflanze. Fuchs, Pferd und Rabe streben danach, die ihnen von der Natur gegebenen Leistungen zur Vollendung zu bringen: dort die Entwicklung des schlauen, gerissenen Jägers. Und der Stärke und Laufkraft und Schnelligkeit. Hier der geschickte Flieger und sichere Nestbauer. Wenn dieses Streben nach Vollendung und Entfaltung auf den Menschen übertragen werden soll, muss die Frage beantwortet werden: welches ist die eigentümliche Leistung des Menschen? Was ist es, das sein Mensch-Sein ausmacht? Aristoteles antwortet: es ist die Denkkraft, die vernunftgemässe Tätigkeit der Seele. Es ist das Streben danach, sich als denkender und vernünftig handelnder Menschen zu entwickeln und entfalten. Zugegeben, das mag etwas abstrakt klingen. Aber, wenn das Gesagte vor dem Hintergrund der begrenzten Zeit betrachtet wird, nimmt es Gestalt an: Der Weg zur Glückseligkeit ist gesäumt von den guten, menschlichen (mensch-gemässen) Taten und Werken. Der Weg ist gepflastert mit unserem Streben, alle unsere Fähigkeiten, Talente, unsere Kreativität und Phantasie nicht verkümmern zu lassen sondern sie unter guter Nutzung der Zeit wachsen und gedeihen zu lassen.

Wie könnte das anhand eines Beispieles aussehen: dazu können wir sogar in der Zeit des Aritoteles bleiben. Von den sieben Weisen der griechischen Antike gibt es eine reizvolle Anekdote: derzufolge sollen sich die sagenumwobenen Denker einmal in Delphi, beim berühmten Orakel des Apollo getroffen haben. Der Priester des Tempels hiess die berühmten Denker willkommen und bat jeden von Ihnen, an der Tempelwand eine Maxime zu hinterlassen. So soll Chilon von Sparte als ersts über der Pforte des Heiligtums die berühmten Worte eingemeisselt haben: „Erkenne dich selbst.“. Wer die ganze Geschichte lesen möchte, der findet sie in der Geschichte der griechischen Philosophie von Luciano de Crescenzo. Pittakos soll folgende geschrieben haben: „Erkenne den rechten Zeitpunkt.“ Das kann nicht nur als Hinweis darauf verstanden werden, zu erkennen, wann für ein Vorhaben der rechte Moment gekommen ist, so wie es auch der Prediger Salomo empfiehlt. Gewiss ist es auch eine Anempfehlung an den bewussten Gebrauch der Zeit. Daran, die Zeit als ein wertvolles Gut zu betrachten, das nicht verschwendet werden darf. Wie nutzen wir dieses Gut aber sinnvoll? Auch Thales war in Delphi dabei. Und das, was er schrieb, birgt die Antwort auf diese Frage: „Gedenke der Freunde.“ Gute Freundschaften gehören zum Wertvollsten im Leben. Auch deshalb, weil wir in der Freundschaft durch gegenseitiges Nehmen und Geben wachsen, und selbst als wertvolles Glied einer Gemeinschaft entfalten können.

Meine Betrachtung wäre nicht vollständig, wenn sie nicht auch eine Hinwendung auf Gott enthalten würde. Unser aller Leben liegt letztendlich in seiner Hand. Und wenn wir in unserem Leben an einer wichtigen Wegscheide angekommen sind und entscheiden müssen, wie es weiter gehen soll, dann lädt er uns ein, ihn zu fragen. Gott ist bei uns. Und wenn wir ihn mit reinem Herzen um eine Antwort bitten, dann dürfen wir auf eine Antwort hoffen. Dies hat er versprochen. Worin aber besteht der Weg, das Glück durch Gott zu finden? Diese Frage stellten schon die Pharisäer, die am Ufer des Jordan standen und hörten, wie der Täufer Johannes sie zur Umkehr aufrief: „was sollen wir tun?“ Die Antwort, die der Täufer gab, wurde kurz darauf von Jesus Christus in all seiner Grösse und Kraft verdeutlicht: um Gott kennenzulernen und damit das grösste Lebensglück zu finden, braucht es keine Tempel und Kathedralen, keine aufwendige Religion mit Ritualen und Zeremonien, keine Traditionen und Priesterhierarchien. Was es aber braucht, ist eine vetrauensvolle Rückkehr zu Jesus Christus, durch den sich Gott als ein liebender, gütiger Vater erweist. „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht umherirren, sondern das Licht des Lebens haben.“ Das sagt Jesus Christus. Er ist gekommen, um uns auf dem Weg zum Glück ein Licht hochzuhalten, damit wir auf dem sicheren Weg bleiben.

Wie aber steht es mit der Zeit? Hat Gott für unsere Sorgen und Fragen Zeit? Bei Jesus ist diese Frage leicht zu beantworten. Als er auf dem Weg nach Jerusalem war und viele Menschen ihn umringten und seine Ankunft in der heiligen Stadt drängend erwarteten, hörte er plötzlich einen Blinden, der ihn um Heilung anflehte. Und Jesus blieb stehen. Alles andere konnte warten, nur dieser arme Blinde am Wegrand war jetzt wichtig. Jesus hatte Zeit für ihn und schenkte ihm das Augenlicht.

Damit stellte Jesus uns wieder das Bild des guten Vaters und der guten Mutter vor Augen, zu dem eines seiner Kinder mit einer Bitte kommt. Der Vater wird das Kind liebvoll aufnehmen und ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenken: er hat Zeit.

Kohelet – der Prediger

Das Buch Kohelet, das in unserer Bibel zwischen den salomonischen Sprüchen und dem Hohelied eingeordnet wurde, ist in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswertes Buch. Es dürfte im dritten Jahrhundert vor Christus niedergeschrieben worden sein. Der Verfasser ist nicht bekannt, möglicherweise war es ein Prediger oder Versammlungsleiter, so wie es der Titel des Buches andeutet: Kohelet heisst verdeutscht Versammler, Prediger. In der Einleitung dieser aussergewöhnlichen Schrift bezeichnet sich der Autor selbst als König und Sohn Davids. Im weiteren Verlauf nennt er sich aber auch Prediger und Philosoph. Wenn auch die Identität des Verfassers im Dunkeln bleibt, so eines doch gewiss: wenn wir Kohelet lesen, begegnen wir einem sehr feinsinnigen und hochgebildeten Weisen, der während vielen Jahren über das Leben nachgedacht hat, um nun in konzentrierter Form über seine tiefgründigen Erfahrungen und Erkenntnisse zu berichten.

Wenn wir versuchen, uns auf die Spuren des Predigers zu begeben, lliegt eine Zeitreise vor uns, die nach Judäa der hellenischen Zeit führt – irgendwo zwischen 300 und 200 vor Christus, in einer judäischen Stadt. Zu dieser Zeit war es üblich, dass sich ältere, lebenserfahrene Männer an den Toren der Stadt aufhielten, um Kontakte zu pflegen und den Vorübergehenden mit Rat und Tat beizustehen. So kamen sie in Berührung mit den unterschiedlichsten Anliegen der Menschen ihrer Zeit, sie kannten deren Sorgen und Nöte, halfen ihnen mit Rat und Tat und bereicherten dadurch ihren eigenen Erfahrungsschatz. Auch Kohelet könnte so ein Lehrer und Ratgeber gewesen sein. Wer seine Schrift liest, lernt ihn als Denker kennen, der seine Umwelt genau beobachtet und dann scharfsinnig und klug seine Schlüsse daraus zieht: «Ich habe darüber nachgedacht und erkannt…» ist eine Wendung, mit welcher mehrere Absätze der Schrift eingeleitet werden.


Auch hier wurde gepredigt: der Jordan Fluss (Quelle: Wikipedia)

Was hat der Prediger erkannt? Auf den ersten Blick wirken die Erkenntnisse ernüchternd: all unser Streben und Mühen ist letzten Endes sinnlos, löst sich auf in Nichts, ist wie ein Windhauch. Insgesamt 38 Mal ist dieser Begriff im Kohelet zu finden: «Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch» (1, 2). Vieles von dem, was uns gross und wichtig erscheint, erkennt der Prediger als nichtig, sei es Ruhm und Ehre, sei es Erwerb und Arbeit, sei es Besitz und Reichtum; ja selbst die Bildung wird verworfen. Denn was hat der Weise dem Unwissenden voraus? Beide werden dasselbe Ende haben! Das klingt sehr pessimistisch. Und das wäre es in der Tat, wenn uns Kohelet nicht etwas mitgäbe, das uns über diesen Pessimismus trägt. «Esst, trinkt und geniesst das Leben, solange ihr jung und bei Kräften seid.» So lautet der Rat des Predigers – grob formuliert. Doch ist dieser Rat nicht zu oberflächlich geraten? Nein, denn unser Leben geniessen können wir nur mit Gottes Segen. Freude, Zufriedenheit und Glück sind Geschenke Gottes. Dies ist eine Kernaussage des Predigers und damit sind wir gehalten, uns Gott anzuvertrauen, ihn zu lieben und seine Gebote zu achten:

«Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all Deiner Kraft.» (Dt. 6.4)

Einige der Maximen des Predigers sind im Folgenden zusammengefasst:

  • Alles hat seine Zeit (3).
  • Zwei sind auf jeden Fall besser dran als einer allein (4,9)
  • Lerne zuzuhören und Gott zu gehorchen, das ist besser als die Tieropfer (4,5)
  • Je mehr Worte Du machst, desto mehr Unsinn redest Du (5,2)
  • Ruhig Blut bringt weiter als ein heisser Kopf (7,8)
  • Wissen und Erfahrung helfen einem Menschen mehr als, als zehn Herrscher einer Stadt ihm helfen können (7,19)
  • Darum iss Dein Brot und trinke Deinen Wein und sei fröhlich dabei. So hat es Gott für die Menschen vorgesehen, und so gefällt es ihm. Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf Dein Haar. Geniesse jeden Tag mit der Frau, die Du liebst (9,7)

Kohelet

Erste Seite des Kohelet im Codex Sinaiticus

Bei alldem ist das Buch Kohelet keine systematische Weisheitslehre. Unser Prediger will nicht durch einen philosophisch ausgereiften Vortrag überzeugen, oder mit rhetorischem Können glänzen. Die Schrift ist eine lose Sammlung aus Aphorismen, Betrachtungen und autobiographischen Aussagen. Der Prediger vermittelt uns kein Schulwissen für den Hörsaal. Er will uns Weisheiten mit auf den Weg geben, die während den Jahren eines langen Lebens gewachsen und gereift sind. Und so ist es wichtig, dass wir dieses Wissen nicht in ein Schulbuch schreiben, um es dann zu vergessen oder bei Gelegenheit wieder hervorzuholen. Wir sollen es auf unseren Lebensweg mitnehmen, sollen uns jeden Tag darin üben, diese Weisheit selbst zu sein.

Ein wichtiger historischer Aspekt soll zum Schluss erwähnt werden. Wer das Ende des Buches sorgfältig liest, wird feststellen, dass es zwei Epiloge hat. Im ersten Epilog wird noch einmal auf die Bedeutung der Weisheiten eingegangen: der Verfasser bezeugt, dass er selbst viele bekannte Sprüche auf ihre Wahrheit prüfte und selbst neue niederschrieb. Dann empfiehlt er sie dem Leser mit dem Hinweis, das Studieren nicht zu weit zu treiben. Daran schliesst sich ein zweites Schlusswort an, das möglicherweise später dazu kam, als das Buch im ersten Jahrhundert in den Kanon aufgenommen wurde. Gott fürchten und seine Gebote halten, dies ist die Summe aller Lehren.