Über der Stadt Betlehem leuchtete ein heller Stern, er wies drei Waisen aus dem Morgenland, Astronomen aus Persien, den Weg zu der Krippe, in der das neugeborene Kind lag. Die drei Sterndeuter hatten einen weiten Weg zurückgelegt, viele Tage und Nächte folgten sie der Bahn des strahlenden Himmelskörper, der in den ersten Abendstunden zu leuchten begann und ihnen den Weg nach Betlehem wies. Sie folgten dem Himmelslicht, weil sie in ihm die Erfüllung einer alten Prophezeiung erkannt hatten. Der Stern wies hin auf einen grossen König, voller Gerechtigkeit und Güte. Und dann, angekommen am Ende ihres Weges, fanden Sie den ärmlichen Stall und das Kind in einer Krippe, Maria und Josef, umgeben von Tieren und Hirten aus dem Umland.
Wir kennen diese Geschichte, die Erzählung der Geburt von Jesus Christus, so wie sie uns die Evangelisten Matthäus und Lukas überliefert haben. Während Lukas von der wunderbaren Engelserscheinung, den Hirten auf dem nächtlichen Feld und dem Kind im Stall berichtet, verdanken wir Matthäus die Erzählung von den Weisen, die dem Stern folgten und das gefundene Neugeborene anbeteten. Aber, hat sich dies wirklich so zugetragen, wie Lukas und der Levit es und schildern? In seinem neuesten Buch, «Jesus von Nazareth – Prolog, die Kindheitsgeschichten», gibt Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI, eine Antwort auf diese vieldiskutierte, am Jahresende besonders aktuelle Frage. Wie bei den ersten beiden Bänden des dreiteiligen Werkes, betont Ratzinger auch im dritten Buch, das von der Geburt und Kindheit des Nazareners berichtet, dass das Werk in keiner Weise ein lehramtlicher Akt sei, «sondern einzig Ausdruck des persönlichen Suchens nach dem Angesicht des Herrn.» Ratzinger hat dieses dritte Werk zur Ankündigung und Geburt Jesu schon im ersten Band seiner Trilogie angekündigt. Wohin hat diese persönliche und gewiss innige Suche den Gottesmann aus Bayern geführt, der als einer der brillantesten Theologen unserer Zeit gilt? Das neue Buch wurde mit Spannung erwartet und es enttäuscht diese Erwartungen nicht, im Gegenteil!
Dürfen wir den Berichten zur Geburt von Johannes und Jesus vertrauen? Wurde Jesus wirklich in Betlehem geboren und von persischen Magiern beschenkt? Joseph Ratzinger antwortet auf diese Fragen mit einem deutlichen und theologisch tief fundierten Ja! Die Evangelisten wollten mit Ihrem Berichten nicht Geschichten, sondern Geschichte schreiben. Matthäus liebte es, seinen Text an manchen Stellen Satz für Satz mit Verweisen auf die alten Propheten zu stützen. Mit der Ankündigung und Geburt des Christus erfüllen sich die alttestamentlichen Weissagungen und – umgekehrt – können erst durch die Geschehnisse in Betlehem die Prophezeiungen in ihrer ganzen Tragweite verstanden werden.
Lukas schreibt im Prolog seiner guten Nachricht, dass sich sein Bericht auf Aussagen von Augenzeugen stützt, er ist dem Gesagten sorgfältig nachgegangen und hat dann alles in geordneter Reihenfolge aufgeschrieben. Was sind das für Augenzeugenberichte? Joseph Ratzinger hält es für wahrscheinlich, dass Maria am Ende ihres Lebens von den persönlichen Erlebnissen am «Morgen ihres Lebens» erzählt hat. Lukas gibt uns einen Hinweis darauf, wenn er zweimal schreibt, dass Maria sich das Geschehene einprägte und immer wieder darüber nachdachte. Auch als Maria der Engel erschien, um ihr die Geburt eines Sohnes zu verkündigen, erschrak sie zwar zuerst, so wie Zacharias; aber dann dachte sie darüber nach, was der Gruss des Engels zu bedeuten hat. Joseph Ratzinger stellt uns die Gottesmutter als eine Frau vor, die furchtlos und überlegt handelt. die mit Verstand und Herz «das Ganze von Gottes Botschaft zu erkennen sucht.»
Und Joseph Ratzinger findet bei der Verkündigung einen weiteren wichtigen Punkt: Der Engel Gabriel grüsst im griechischen Urtext Maria nicht mit dem hebräischen schalom, sondern mit der griechischen Grussformel chaire – Freue dich! Der Gruss des Himmelsboten wird zum Thema, das die folgenden Geschehnisse durchdringt, die Ankunft des Messias, der die Menschen mit Gott versöhnt. Die gute Nachricht für alle Menschen auf Erden – die frohe Botschaft.
Wie steht es aber mit der Jungfrauengeburt? Ist sie Fakt oder Fiktion? Joseph Ratzinger hat dieser Frage ein eigenen Abschnitt gewidmet und beantwortet die Frage unmissverständlich: «Die Antwort lautet ohne Einschränkung: Ja.» Warum? Schon Karl Barth wies darauf hin, dass das Wirken Gottes im neuen Testament zweimal in die materielle Welt eingreift: die jungfräuliche Geburt und die Auferstehung aus dem Grab, emporsteigend in die göttliche Dimension. Gott wirkt nicht nur in Ideen, so wie der moderne Geist es gerne hätte, er umfasst alles Geschaffene, auch die Materie. schon Maria erhielt ja vom Engel auf Ihre Frage nach dem Wie eine Antwort: Für Gott ist nichts unmöglich. Maria vertraute der himmlischen Erscheinung. Wir können dies als eine Einladung verstehen, der guten Nachricht ebenfalls zu vertrauen.

Die drei Waisen aus dem Morgenland, historische Persönlichkeiten (Bild: Nina Aldin Thune/Wikipedia)
«Ich sehe einen, noch ist er nicht da; ganz fern erblick ich ihn, er kommt bestimmt! Ein Stern geht auf im Volk der Jakobssöhne!», die Prophezeiung Bileams im vierten Buch Moses könnte den persischen Astronomen bekannt gewesen sein, es ist aber auch gut möglich, dass es andere Prophezeiungen gab, die mit dem Erscheinen eines hell leuchtenden Himmelskörpers das Kommen eines grossen Königs, eines Erlösers ankündigen. Während gerne betont wird, dass man Theologie nicht mit Astronomie vermengen dürfe, schicken andere Stimmen das Erscheinen des Betlehem-Sternes entschieden in die Welt der Mythen und Sagen. Aber, wie Joseph Ratzinger im zweitletzten Kapitel betont, hat um das Jahr 7 auf 6 v.Chr. eine Konjunktion von drei Planeten stattgefunden. Und dieses ist auch das heute für wahrscheinlich angesehene Geburtsjahr Jesu. Die Sterndeuter folgten dem Stern, der ihnen den Weg nach Westen, nach Judäa, wies. Da sie die Geburt eines Königs erwarteten, war ihr Ziel der Palast des Herodes in Jerusalem. Eine Stelle im Buch des Propheten Micha führte sie schlussendlich nach Betlehem.
Ratzingers neues Buch, das den beiden ersten Bänden über Jesus als Prolog vorangeht, fördert Neues und Überraschendes über die Weihnachtsgeschichte zutage. Einmal ist es für den grossen Theologen wichtig, dass das, was wir bei Lukas und Matthäus lesen, der Wahrheit entspricht. Die Evangelien sind vertrauenswürdig, wir dürfen ihnen glauben. Die Verfasser der guten Nachricht wollten nicht schöne und erbauliche Geschichten erzählen, sie berichten davon, was sich vor 2000 Jahren tatsächlich zugetragen hat. Aber die Berichte sind nicht in Stein gemeisselte Majuskeln, die wir für wahr oder unwahr halten können. Gottes Wort möchte von uns gelesen werden, es will, dass wir darüber nachdenken, so wie es Maria getan hat. In unserem Geiste wird es lebendig und weist uns den Weg hin zu Gott und seiner unendlichen Liebe. So schreibt es auch Ratzinger im Klappentext, er hofft, «dass das Buch trotz seiner Grenzen vielen Menschen auf ihrem Weg zu Jesus und mit Jesus helfen kann.»




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