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Wie wars im Mittelalter?

Ian Mortimer: Als Licht das Dunkel durchdrang

Bunt und fröhlich geht es zu und her am Mittealtermarkt in Huttwil, Ritter mit Harnisch, Helm und Schwert messen sich im Zweikampf, Marktstände bieten Kunsthandwerk an und ein Barde spielt auf der Flöte Tanzmelodien. Das Mittelalter ist wieder „in“; das einfache Leben nahe an der Natur und ohne technischen Firlefanz fasziniert viele Menschen! Aber wie wars denn wirklich im Mittelalter? Düster und brutal sagen die einen, ärmlich und gefährlich ergänzen die anderen. Das ist sicher nicht weit weg von der historischen Realität; der Griff zur Waffe war schon fast alltäglich, wenigstens im frühen Mittelalter!

Aber hier kommt nun der Einwand von Ian Mortimer, der in seinem neuen Buch „Als Licht das Dunkel durchdrang“ ein differenzierteres Bild dieser rund 700 Jahren dauernden Epoche zeichnet. Wenn man den Autoren nach dem Mittalter fragt, erhält man als Antwort eine Gegenfrage: Welches Mittelalter? Das im Jahr 1000 oder dasjenige von 1500? Mortimer sieht hier grosse Unterschiede und illustriert diese an zahlreichen spannenden Beispielen. Nehmen wir als Beispiel den Krieg. Um das Jahr tausend war er alltäglich! Brutalität und Gewalt war an der Tagesordnung, Landesherren überfielen sich gegenseitig, dabei verwüsteten sie die Äcker ihrer Gegner – einen Grund benötigten sie für ihr Wüten nicht! Dies veränderte sich in den kommenden Jahrhunderten, Gesetze verboten kriegerische Raubzüge und Könige disziplinierten ihre Vasallen! Wenn wir heute für alle Menschen auf der Welt Frieden wünschen, so können wir die Entstehung dieses Ideals im Mittelalter finden.

Die meisten Menschen des frühen Mittelalters hausten in schlichten Holz- oder Lehmbauten mit nur einem Raum. In der Mitte gab es eine Feuerstelle und da der Rauch einfach durch das Strohdach abgeleitet wurde, war der ganze Innenbereich rauchgeschwängert. Geschlafen wurde neben der Feuerstelle auf dem Boden, als Kopfstütze diente ein einfaches Holzscheit. Wie ganz anders präsentiert sich ein Wohnhaus im 15. oder 16. Jahrhundert. Nun gab es getrennte Räume, Kamine und Fenster mit Glas. Und zum Mobiliar gehörten immer häufiger auch Betten mit Kissen! Mortimer veranschaulicht diesen enormen Fortschritt des Wohnkomforts mit dem Blick in eine finstere Holzhalle mit gestampften Lehmboden und Feuerstelle, „kaum ein Herrscher unter den Wikingern oder Sachsen hatte etwas gemütlicheres“, schreibt der Historiker. Unten auf derselben Seite ist als Kontrastprogramm ein Raum der englischen Hardwick Hall als dem späten 16. Jahrhundert zu bestaunen: Hell, freundlich, mit grossem Kamin und zahllosen Verzierungen! Ja, natürlich ist es ein Herrenhaus, aber mehr Wohnkomfort gab es für alle, auch für einfache Landleute.

Gehen wir noch einmal zurück in das frühe Mittelalter, wie in der Antike wurde der Tag in zwölf Stunden eingeteilt, die erste Stunde begann beim ersten Morgenlicht, die letzte endete beim Vernachten. Damit waren die Stunden im Winter deutlich kürzer. Uhren? Nix! Die Menschen orientierten sich einfach am Stand der Sonne. Und dann kam die mechanische Uhr! Plötzlich konnte ein Tag präzise in 24 Stunden aufgeteilt werden, Glocken am Kirch- oder Rathausturm schlugen die Stunden. Das freute die Mönche, die ihre Stundengebete jetzt zu festgesetzten Zeiten abhalten konnten, etwa zur Vesper um 18 Uhr. Und natürich alle, die auf genaue Zeiten angewiesen waren, zum Beispiel Postkutschen. Der Takt der modernen Welt begann im Mittelalter!

Ian Mortimer lädt seine Leser ein auf eine faszinierende Zeitreise, auf der beobachtet werden kann, wie Europa sich verändert hat und den Weg zur Moderne ebnete. Mittelalter? Ja, das gab es und viele unserer Vorstellungen mögen nahe an der Realität liegen, etwa bei der Vorstellung von Rittern in ihrer glänzenden Rüstungen. Wichtig ist es aber, die eigene Vorstellung von dieser faszinierenden Epoche immer wieder unvoreingenommen zu überprüfen. Und daran zu denken, dass man die Menschen, die vor 1000 Jahren gelebt haben, nicht aus der Lebensrealität des 21. Jahrhunderts beurteilen sollte.

Das Emmental als Burgenland

«Geschichte hat mich schon immer interessiert», erklärte Jonas Glanzmann bei einem Vortrag in der Rüderswiler Pfrundscheune. Er nahm eine Einladung der Kirchgemeinde an und blickte bei seinem rund 90 Minuten dauernden Referat tief in die Vergangenheit des Emmentals. Begonnen habe sein Interesse für Geschichte schon in der Jugend, als er in Bachläufen Gold wusch. Seine Aufmerksamkeit habe dann aber nicht nur das begehrte Edelmetall geweckt, sondern auch verschiedene alte Gegenstände, die er im Bachbett entdeckte. «Da hat es mich gepackt» gestand der Geschichtsforscher.

Burgstelle entdeckt
Das Dorf Rüderswil ist Jonas Glanzmann in guter Erinnerung, denn vor zwei Jahren entdeckte er im Feld eine bisher unbekannte Burgstelle. Wie aber kam es zu diesem aussergewöhnlichen Fund? Jonas Glanzmann: «Ich habe eine Karte aus dem Jahr 1727 betrachtet. Am linken Emme­ufer, ungefähr gegenüber von Ranflüh, ist mir dann die Bezeichnung ‹Schloss Knubel› aufgefallen.». Der Forscher aus Thun begab sich zu der markierten Stelle und konnte tatsächlich eine Burgstelle aus dem 7. oder 8. Jahrhundert nachweisen. Gemäss Glanzmann fällt die Burg damit in die Zeit der allemannischen Besiedlung und ist ein Indiz dafür, dass Rüderswil älter ist, als bisher angenommen.

1000 Jahre alte Schenkungsurkunde
Fesseln konnte der Thuner Historiker die Zuhörer auch mit seinen Ausführungen zum Weiler Doggelbrunnen. Dieser wird schon im Jahre 1004 in einer Schenkungsurkunde des Lenzolo erwähnt. Bis heute sind beim Doggelbrunnen Schanzanlagen zu erkennen, die Zeuge dafür sind, dass hier einst eine frühmittelalterliche Burg stand. «Eine Burg ist ein befestigter Wohnsitz, der einem Angehörigen des niederen Adels gehörte« erklärte Glanzmann und zeigte auch Bilder, die einen Eindruck davon vermittelten, wie die aus Holz gebauten Wohn- und Wirtschaftsgebäude ausgesehen haben könnten. Zu der Anlage dürfte auch eine Letzi gehört haben, eine Talsperre also, mit der die Passage kontrolliert werden konnte. Zur damaligen Zeit war der Emmenschachen grösstenteils nicht begehbar, da er sumpfig und oft überschwemmt war. Deshalb führten die ersten Wege durch das Emmental über die Terassen und Eggen.

Weiler DoggelbrunnenBlick auf den Doggelbrunnen (Bild: Google Earth)

Von Norden nach Süden
Es ist gerade das alte Wegsystem des Emmentals, dem Jonas Glanzmann grosse Aufmerksamkeit schenkt. Auf einer Karte zeigte er, wie die politischen Machtverhältnisse im frühen Mittelalter waren. Das Emmental befand ich im Einflussbereich der Burgunder im Westen, aber auch der schwäbischen Machthaber. Das Emmental bot sich damals für einen alternativen Nord-Süd Transit an, was gut erkennbar wird, wenn auf einer Karte die Standorte alter Kirchen und Burgen eingezeichnet werden. Glanzmann markierte die Ortschaften mit verschiedenen Farben, so dass deutlich zu erkennen ist, wie alle Standorte sich auf ein Wegsystem ausrichten. «Burgen wurden nicht einfach irgendwo gebaut» erklärte Glanzmann dazu. Sie seien vielmehr dort entstanden, wo die strategische Lage günstig war. Und stets in unmittelbarer Nähe eines wichtigen Verkehrsweges.

Das Emmental habe eine erstaunlich hohe Dichte an Burgen gehabt, resumierte Jonas Glanzmann. Der Forscher bleibt gemäss eigenen Angaben auch weiterhin auf den Spuren der Vergangenheit in der Region. Sicher wird Jonas Glanzmann noch für einige Überraschungen sorgen. Sein neues Buch, «EINE LANDSCHAFT ERZÄHLT GESCHICHTE», wird im kommenden April erscheinen.

Weitere Infos: www.historiarum.ch